Feenfuchs und Feuerkuss
von
Shakespeares Versen endlich besiegt hatten, strahlte Sam Gesicht fast wieder so
wie vor dem Gespräch über seine erkrankte Großmutter.
„Heute zeig ich dir mal ein Video“,
sagte er und Luisa hörte den Stolz in seiner Stimme.
Als er ihr dann wenig später auf
dem Bildschirm präsentierte, was er ihr zeigen wollte, wusste Luisa, warum
Stolz mitgeschwungen war: Sam zeigte ihr Videos und Bilder von sich beim
Wellenreiten und Luisa war schlichtweg begeistert.
Sie kam aus dem Staunen nicht
heraus, denn nicht nur Sams Eleganz auf dem Surfbrett, sondern auch sein
geradezu unangemessen durchtrainierter Körper im Neoprenanzug verzückten sie
vollkommen.
„Wunderschön“, wisperte sie und
genoss wie zufrieden Sam aussah.
„Newquay ist großartig“, sagte er
und bekam einen sehnsüchtigen Ausdruck im Gesicht.
Luisa konnte seine Liebe für die
englische Küste, seitdem sie die tollen Bilder gesehen hatte, gut
nachvollziehen. Doch gleichzeitig machte sie die Leidenschaft in seinen Augen
auch ängstlich: Sie wusste nun, dass sie Sam verlieren konnte, weil er sich in
seine alte Heimat zurück sehnte. Ihr Vater hatte den gleichen Zug um die Augen,
wenn er vom Meer sprach. Und das Ruhrgebiet hatte zwar viel zu bieten, aber ein
Meer leider nicht.
„Hier.“ Sam riss Luisa aus ihren
schmerzvollen Gedanken an ihren Vater. Er legte ihr etwas in die Hand.
„Eine Muschel“, sagte Luisa und drehte
die runde Schönheit in ihren Fingern. Sie war hellbraun mit silbernen Streifen.
„Aus Newquay“, sagte Sam und
beobachtete sie genau. „Wenn du sie an dein Ohr hältst, kannst du das Meer
rauschen hören.“
Luisa lächelte und blinzelte
hektisch, als ihr Tränen in die Augen stiegen. Ihr Vater brachte ihr solche
Geschenke von seinen Weltreisen mit. Das letzte Mitbringsel war lange her.
Sie fiel Sam in die Arme und
tauchte lieber in seinen wundervollen Duft ein als in das Vermissen.
Luisa konnte im Nachhinein nicht
mehr sagen, wie lange sie und Sam sich in den Armen gelegen hatten, aber ihr
wurde noch ganz warm ums Herz, als sie nun während des Nachhauseweges daran
dachte. Sie waren etwas verlegen gewesen, als sie sich wieder voneinander
gelöst hatten, aber das war nicht schlimm. Ganz im Gegenteil, die Unsicherheit,
die sie in diesem Moment gespürt hatte und immer noch spüren konnte, war ein
bittersüßes Gewürz, das die Gedanken an Sam nur spannender machte.
Sie hielt die Muscheln aus
Newquay in der Hand und trug dieses Geschenk wie einen teuren Schatz nach
Hause.
Als sie einige Stunden später in
ihrem Bett lag, horchte sie auf das Rauschen des Meeres, das Sams Muscheln ihr
zuflüsterte. Mit dem Geschenk am Ohr war es gar nicht schwer, sich an die
Bilder zu erinnern, die sie heute gesehen hatte: Sam als begnadeter
Wellenreiter an der stürmischen Küste Englands. Luisa hätte von keiner
schöneren Vorstellung in den Schlaf begleitet werden können als von dieser.
Luisa lief einen verlassenen
Strand entlang und hielt Ausschau nach Sam. Die Sonne ging langsam unter und
sie begann zu frösteln. Komischerweise trug sie eins von Jeskas ausgefallenen
Kleidern und ihre ausgelatschten Joggingschuhe. Plötzlich erspähte sie in den
Fluten eine Gestalt. Sie begann zu rennen. Je näher sie kam, desto mehr konnte
sie von der Person erkennen: Dunkle, kurze Haare und ein verschlungenes Tattoo
auf Brust und Schulter, das auch einen keltischen Krieger hätte zieren können.
Das
kann nur Sam sein ,
schoss es ihr erleichtert durch den Kopf.
Doch je näher sie kam, desto mehr
wunderte sie sich über die Schwimmbewegungen mit denen Sam durch die Wellen am
Ufer tauchte. Sie hatten nichts Menschliches an sich. Ihr Herz begann zu rasen.
Was
ist mit ihm geschehen?
Sie trat ans Ufer und es war ihr
egal, dass die heranrollenden Wellen ihre Turnschuhe durchweichten. Wie gebannt
starrte sie auf Sam, der sich von einer riesigen Welle tragen ließ, um dann
unter ihr begraben zu werden. Das graue Wasser und die helle Gischt
verhinderten, dass Luisa ihn erspähen konnte.
Die Minuten verstrichen, aber Sam
tauchte nicht auf. Panik floss im Takt der Gezeiten durch sie hindurch. Luisa
rief seinen Namen.
So
lange kann kein Mensch ohne Sauerstoff auskommen , dachte sie angstvoll.
Sie raffte ihr rotes Kleid hoch
und lief in die eisigen Fluten. Es wurde immer dunkler und sie konnte bald
nichts mehr sehen. Ihr Herzschlag setzte kurz aus, als etwas sie am
Unterschenkel packte und an ihr zog. Sie blickte in das trübe Wasser, das
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