Feenfuchs und Feuerkuss
der vorletzten
Aufgabe, als ihr die Idee kam. Sie würde Sam die Burgruine zeigen. Dort würde
sie schon die richtigen Worte finden. Es wäre doch pure Ironie, wenn sie eine
Matheklausur mit links schaffte, aber ihren Traummann einfach an sich
vorbeiziehen ließe.
Die letzte Aufgabe war doch
kniffeliger, als zu Anfang gedacht. Ratlos kaute Luisa auf ihrem Bleistift. Zum
wiederholten Male las sie sich die Aufgabenstellung durch: ‚Zeichne den Graphen
der Funktion f(x)= ½x²-1 in das Koordinatensystem.'
Verflixt , dachte sie, wie hat Sam das nochmal erklärt?
Sie schaute sich im Raum um. Ihre
Klassenkameraden hielten eifrig die Köpfe über die Aufgabenzettel gebeugt. Nur
das Rascheln der Blätter und das gelegentliche nervöse Räuspern ihres
Mathelehrers störte die Stille. Oberstudienrat Tillmann wandte den Blick nicht
von seinen Schülern, die er prinzipiell des Abschreibens und Täuschens
verdächtigte. Seine Hornbrille drohte ihm immer wieder von der schmalen Nase zu
rutschen und hektische rote Flecken zierten seine Wangen.
Luisa fragte sich, wieso ihr
Lehrer bei Klausuren stets aufgeregter war als seine Schüler.
Sie wandte den Blick von ihrem
Mathelehrer und betrachtete Molly, die schräg vor ihr saß. Die Haare zu einem
kunstvollen Gretchenzopf geflochten, zeichnete sie konzentriert eine Linie in
das Koordinatensystem und hakte einen weiteren Punkt auf ihren Klausurbogen ab.
Luisa sah nach rechts. Jeska saß im Schneidersitz auf ihrem Stuhl und beugte
sich in einer unbequemen Haltung über den Tisch. Als Luisa den giftgrünen Kuli
in ihrer Hand bemerkte, musste sie schmunzeln. Jeska war extrem abergläubisch.
Klausuren schrieb sie ausschließlich nur mit ihrem besonderen Kuli, den ihr Opa
aus Schottland mitgebracht hatte. Dass es sich lediglich um ein Werbegeschenk
einer Whiskybrennerei handelte, war Jeska dabei egal. Es hatte schon
dramatische Suchaktionen vor Klausuren gegeben, wenn das besagte Schreibgerät
nicht auffindbar gewesen war. Und ihr Aberglaube beschränkte sich nicht nur auf
die Schule. Auf Turnieren gab sie ihrem Pferd Jupiter vor der Prüfung genau
zwei Zuckerstücke. Außerdem mussten die Zöpfe ihres Pferdes mit einem
speziellen Mähnengummi aus Holland eingeflochten werden.
„Nur noch zehn Minuten.“ Die
leicht quäkende Stimme des Lehrers riss Luisa aus ihren Überlegungen. Sie las
sich nochmal die letzte Aufgabe durch.
Sie stellte sich vor, wie Sams
schöner Mund ihr die Aufgabe erklärte.
Plötzlich konnte sie sich
erinnern, wie dieser Aufgabentyp zu lösen war.
„Danke Sam“, sagte Luisa tonlos
und machte sich erleichtert ans Werk.
Als die Glocke das Ende der
letzten Stunde verkündete, konnte Luisa es kaum erwarten, zu Sam zu kommen, um
ihm vom guten Verlauf der Matheklausur zu berichten. Doch es war nicht Sam, der
ihr die Wohnungstür öffnete. Sie sah in das breite Lächeln von Jasper.
Das jüngste Mitglied der Weston
Familie redet wie ein Wasserfall und erzählte ohne Punkt und Komma, während Sam
Ravioli mit Spinat und Gorgonzola herrichtete. Aber Jaspers
Mitteilungsbedürfnis störte Luisa nicht, denn er erzählte von ihrem alten
Zuhause in England und das interessierte sie sehr.
Gerade als Jasper von Sams
Treffen mit der Queen zu sprechen begann, brachte dieser die kleine
Quasselstrippe liebevoll zum Schweigen, indem er ihm eine große Portion Ravioli
auf den Teller gab.
„So, Jasper. Jetzt mehr essen,
weniger reden“, sagte er und lud auch Luisa eine Portion auf.
„Hast du wirklich Queen Elisabeth
getroffen?“, fragte Luisa, als sie alleine in Sams Zimmer waren.
„Ja“, gab er kurz angebunden zu.
Luisa glaubte schon, dass er es
dabei belassen würde, als er hinzufügte: „Meine Oma ist ein fanatischer Fan der
Royals. Sie hat mich immer mitgenommen zu den öffentlichen Auftritten der
Queen. Und eines Tages durfte ich ihre Hand schütteln. Da gibt es sogar ein
peinliches Foto von…“
Luisa war begeistert. „Das muss
ich irgendwann mal sehen.“
Sam schüttelte den Kopf. „Nur
über meine Leiche.“
Luisa lachte und fragte: „Und wie
geht es deiner Oma?“
Sams Gesichtsausdruck schwang
plötzlich um. „Nicht so gut. Ihr Herz macht ihr sehr zu schaffen.“
„Das tut mir leid“, sagte Luisa.
Sie wollte gerne mehr wissen, aber Sams Gesichtsausdruck verriet ihr, dass er jetzt
nicht darüber reden wollte.
Während sie die Englischklausur,
die morgen anstand, vorbereiteten, hob sich Sams Laune in winzigen Schritten.
Aber als sie die Tücken
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