Feenkind
Menschen langsam anfingen, wieder über ihre Grenzen zu dringen. Nach und nach gelang es ihm, seine jungen Freunde davon zu überzeugen, dass die Feen sich nicht zu verstecken brauchten. Mit ihren Fähigkeiten sollte ihnen die ganze Welt der Menschen zu Füßen liegen. Die jungen Herzen sogen diese Worte bereitwillig auf - sie wollten sich an den Menschen für das, was ihrem Volk angetan wurde, rächen und sie hatten es satt, in ihrer Welt eingesperrt zu sein und tatenlos zuzusehen, wie die Menschen sich immer weiter ausbreiteten.
Mit Hilfe der jungen Feen entkam Lord Damien aus dem Feenreich und nahm viele Artefakte mit, die ihm große Macht unter den Menschen verliehen. Mit dieser Macht und der Magie der ihm gefolgten Feen baute er sich ein neues Königreich auf und festigte es, indem er seine Feenfreunde immer neue Zerstörungsapparate ersinnen und bauen ließ. Er war der erste, der sich den Titel des Herrschers gab. Zunächst er selbst und später seine Erben hatten es sich zum Ziel gesetzt, die gesamte Welt der Menschen zu beherrschen.
Die Feen im Feenreich sahen fassungslos zu, unternahmen jedoch nichts dagegen. Ihr Volk hatte bereits genug gelitten und sie wollten kein weiteres Leid hinzufügen, indem sie gegen ihre eigenen Kinder vorgingen. Außerdem hatten sie das Gefühl, dass die Menschen jedes Recht auf die Hilfe der Feen verwirkt hatten.
Obwohl die Macht Lord Damiens bei den Menschen immer weiter zunahm, fühlte er sich durch die bloße Existenz des Feenvolkes bedroht. Er schickte seine eigenen Anhänger unter den Feen auf einen weiteren Eroberungszug in einen entfernten Teil des Reiches und stellte indessen eine Menschenarmee auf, mit der er das Feenreich zu überfallen gedachte. Der Angriff war kurz und gnadenlos. Unter dem Vorwand, ein Gespräch mit den Feen zu suchen, drang er in ihr Reich ein. Die meisten der Alten Geschöpfe wurden erbarmungslos mit ihren eigenen, von Menschen und Feen für das Töten verbesserten Artefakten niedergemetzelt. Die kleinen Feenkinder nahm der König jedoch mit. Da die Zeit außerhalb des Feenreichs für Menschen und Feen gleich schnell verläuft, waren ihre Lebensdauer und ihr Gedächtnis ohne die schützende Magie von ebenso kurzer Dauer wie die der Menschen. Er hoffte, mit der Zeit eine ihm und seinen Erben treu ergebene magische Elitearmee aufbauen zu können, die nichts über ihre Herkunft wusste.
Er selbst hätte das Feenreich gerne erobert, um die Welt aus der Sicherheit der Unsterblichkeit, die es verlieh, zu regieren. Doch eine Handvoll der Alten Feen, die seinen Anschlag überlebt hatten, versiegelten ihr Reich gegen die Welt der Menschen, mit denen sie nichts mehr zu tun haben wollten. Sie machten sich selbst zu Gefangenen in ihrer immer kleiner werdenden Welt.
Als die Feenschar des Herrschers von ihrem Eroberungszug zurückkehrte, mussten sie erfahren, dass sie für den Untergang ihres Volkes verantwortlich waren. Manche brachen unter dieser Schuld zusammen, andere versuchten einen letzten verzweifelten Aufstand. Doch so oder so war ihre Existenz eine Generation später fast völlig vergessen.
So also ging das mächtige und stolze Volk der Feen unter - durch Uneinigkeit und übermäßiges Vertrauen in die menschliche Rasse. Und die letzten Nachkommen der Feen sind zu Sklaven der Menschenkönige geworden. Nie wieder hat ein Mensch eine der Alten Feen zu Gesicht bekommen - und das ist wahrscheinlich unser größter Verlust."
Kalla blickte auf. Das Licht der Laterne flackerte, sie war beinahe ausgebrannt.
Dhalia hatte Angst sich zu regen, um die Aura der Ehrfurcht, die sie bei der Erzählung überkommen hatte, nicht zu zerstören. Sie bemerkte, dass ihre Kehle vor Anspannung und Ergriffenheit ganz zugeschnürt war, und musste schlucken, bevor sie etwas sagen konnte. "Hast du das gewusst?" brachte sie schließlich leise hervor.
Die Bibliothekarin schüttelte stumm den Kopf. "Kein Wunder, dass dieses Buch verboten wurde", sagte sie dann. "Ich hatte ja keine Ahnung."
"Weißt du, aus welcher Zeit diese Aufzeichnung stammt?"
"Ich schätze, der Bericht müsste rund fünfhundert Jahre alt sein. In dieser Zeit ist das Große Reich entstanden, als der erste Herrscher anfing, die umliegenden Länder zu erobern."
"Bis sie schließlich zu uns kamen", fügte Dhalia grimmig hinzu.
Kalla nickte stumm.
Neugierig beugte Dhalia sich wieder über das Buch. Der Schein der Lampe wurde immer schwächer - sie mussten sich beeilen. "Steht hier noch mehr? Gibt es einen Weg, die
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