Feenkind
erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, wovon sie fest überzeugt war, konnte nichts mehr sie von ihrem Entschluss abbringen. Die ältere Frau seufzte resigniert. "Also gut, dann lass uns jetzt wieder nach oben gehen. Ich kann das Buch auch später auf seinen Platz zurücklegen."
Tastend fanden sie ihren Weg zu der alten Steintreppe und schließlich auch in die von den Strahlen der Abendsonne rot erleuchtete Bibliothek.
"Es ist schon so spät!" entfuhr es Dhalia verwundert. "Wir sollten jetzt besser nach Hause gehen. Wir haben einiges zu besprechen, bevor ich morgen früh zu den Höhlen aufbreche."
Traurig und ein wenig mitleidig blickte Kalla ihre junge Freundin an. "Du willst es also tatsächlich tun?"
Die junge Frau nickte entschlossen. "Ja, das will ich. Das muss ich einfach."
"Dann lass uns gehen."
Doch sie kamen nicht weit. In der Eingangshalle der Bibliothek wurde Kalla von einer kleinen zierlichen Frau mittleren Alters aufgehalten, die aufgeregt auf sie zulief. "Da bist du ja endlich!" rief die Fremde erleichtert aus. "Ich habe schon überall nach dir gesucht. Du warst wie vom Erdboden verschwunden, obwohl einige Leute hier schwören konnten, dich am Morgen gesehen zu haben. Ich muss mit dir dringend das bevorstehende Fest zum 500. Geburtstag der Bibliothek besprechen."
Kalla verdrehte die Augen. Sie hatte gehofft, sich um weitere Aufgaben bei der Festvorbereitung drücken zu können. Doch es half nichts. "Geh du doch schon mal voran", wandte sie sich an Dhalia. "Ich komme dann so schnell wie möglich nach."
Das Mädchen nickte und begab sich zum Ausgang der Bibliothek.
Dhalia war so sehr in ihre Gedanken über das eben Erfahrene vertieft, dass sie kaum auf ihre Umgebung achtete. Zielsicher fanden ihre Füße auch von selbst den Weg durch die schmalen Gassen, die um diese Uhrzeit allmählich menschenleer wurden.
Daher bemerkte sie gar nicht die Gestalt, die sich aus einem dunklen Hauseingang löste und sie von hinten einholte, bis eine grobe Stimme sie aus ihren Gedanken riss.
"Hallo, Schätzchen, bist ja so ganz allein unterwegs. Soll ich dich vielleicht begleiten und dir ein wenig Gesellschaft leisten?"
Dhalia straffte ihre Schultern und beschleunigte ihren Schritt. Sie spürte, wie ihr Herz in ihrer Brust zu pochen anfing, und zwang sich zur Ruhe. Es war wahrscheinlich nur ein gelangweilter Obdachloser, sie war nicht in Gefahr, sie durfte bloß nicht stehen bleiben. Plötzlich spürte sie eine Hand an ihrer Schulter.
"He, ich rede mit dir. Da solltest du zumindest mal stehen bleiben."
Sie fuhr herum, wobei ihre Hand automatisch zu ihrem Gürtel fuhr, wo sie normalerweise ihren Dolch hatte, doch sie ertastete nur den glatten Stoff ihres Kleides. Sie hatte ihren Dolch in Kallas Haus gelassen, zusammen mit ihrem Schwert, ihrem Bogen und allem anderen, das sie zu ihrer Verteidigung hätte nutzen können. Erneut spürte sie Panik in sich aufsteigen. Nur ruhig bleiben, ermahnte sie sich.
Der Mann lachte und offenbarte dabei einen Mund voll fauler Zähne.
"Lass mich sofort los!" Dhalia versuchte, soviel Selbstsicherheit und Autorität wie nur möglich in ihre Stimme zu legen, und schüttelte verächtlich die Hand ab, die noch immer auf ihrer Schulter ruhte.
Sie wollte sich gerade abwenden, als der Mann sie schmerzhaft an ihren Haaren packte und ihren Kopf in den Nacken zwang. Sie versuchte mit aller Kraft, ihn wegzustoßen, doch er hielt ihre Haare so fest, dass es ihr nicht gelang, während er seinen Mund ganz nah an den ihren brachte, so dass ihr sein stinkender Atem ins Gesicht schlug. Angewidert wandte sie ihren Kopf ab, obwohl sie wusste, dass es ihr nichts bringen würde. Verzweifelt trommelte sie mit ihren Fäusten gegen seine Schultern und mit zunehmender Panik versuchte sie, sich aus seinem Griff zu befreien. Doch er hatte ihre Haare fest um seine Faust gewickelt und leckte lüstern die Lippen, als er ihren Widerstand sah.
Plötzlich hörte Dhalia Stimmen und Gelächter vom anderen Ende der Straße herüberhallen. Sie reckte ihren Hals und sah eine Gruppe von Männern in die Straße biegen. Menschen! Da waren andere Menschen. Sie war gerettet!
"Hey, Matthew, was hast du denn da Feines aufgegabelt? Lass uns auch noch was übrig!" rief eine der Stimmen vom anderen Ende der Straße herüber.
Dhalias Herz sank. Die würden ihr nicht helfen. Sie war ganz auf sich allein gestellt.
Mit aller Kraft rammte sie dem Mann ihr Knie zwischen die Beine. Er krümmte sich vor Schmerz zusammen und ging zu Boden. Sie
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