Feenkind
selbst ein Geschöpf der Wälder, als würde sie hierher, genau an diesen Ort gehören, der ohne sie seltsam unvollständig gewesen war. Dieser plötzliche Gedanke überraschte ihn, da er selbst nicht sagen konnte, wodurch dieser Eindruck bei ihm ausgelöst wurde.
Das, was sie sah, schien der jungen Frau zu gefallen, denn ihr Gesicht erstrahlte vor tiefer Freude, wodurch es auf einmal sehr mädchenhaft wirkte.
Sie hatte diesen Ort also gesucht! Noch während der Schmuggler überlegte, was er mit dieser so plötzlich aufgetauchten Konkurrenz auf die in der Höhle liegenden Schätze machen sollte, stieg sie ab, band ihr Pferd an und ging ohne zu zögern und ohne sich noch weiter umzublicken auf den Höhleneingang zu.
Chris' Gedanken rasten. Er glaubte nicht, dass das Mädchen allein aus der Höhle wieder herauskommen würde. Sie konnte gewiss noch nicht viel Erfahrung in diesem Beruf haben, sonst wäre sie etwas vorsichtiger vorgegangen. Damit würde sich sein Problem mit der unerwarteten Konkurrenz von selbst erledigen. Immerhin kannte er sie gar nicht und außerdem war jeder sich selbst am nächsten. Andererseits wäre es schon schade um die unbekannte Schöne, wenn sie so früh von der Erdoberfläche verschwinden würde. Chris wusste, dass er sich ein wenig schuldig fühlen würde, wenn ihr etwas zustieß, was er hätte verhindern können.
Es war natürlich auch möglich, dass sie etwas über die Höhle wusste, was ihm noch unbekannt war. Dann hätten sie zusammen eine viel bessere Chance, wieder heil herauszukommen. Und wenn sie die Schätze erst einmal hatten, würde er schon zusehen, dass die wirklich kostbaren Stücke bei der Aufteilung der Beute ihm zufielen.
Die Entscheidung war somit eindeutig zu Gunsten der Unbekannten ausgefallen. Der junge Mann sprang auf, um der unbekannten Frau eine Zusammenarbeit anzubieten. Dabei verhedderte sich jedoch sein Umhang in den Ästen des Busches, hinter dem er sich versteckt hatte. Als er sich einige Augenblicke später befreit hatte, war sie nicht mehr zu sehen. Sie hatte den Eingang erreicht und war in die Höhle hineingegangen.
Ohne weiter darüber nachzudenken, packte er seinen Rucksack und lief ihr hinterher, auf den dunklen Höhleneingang zu. Er sah die Öffnung immer näher kommen, nur noch wenige Schritte trennten ihn von der Schwelle, die, wie er wohl wusste, den Eingang ins Feenreich bedeutete. Sobald ein Mensch diese Schwelle übertrat, erforderte es großes Geschick, da wieder herauszukommen. Chris schloss die Augen, spannte seinen gesamten Körper und rannte in die Höhle hinein.
Zumindest hatte er das vorgehabt. Doch stattdessen spürte er einen stumpfen Schmerz, als wäre er vor eine unsichtbare Mauer gerannt. Im nächsten Augenblick fand er sich auf dem Boden wieder, einige Schritte von der Höhle entfernt. Als er sich aufrappelte, rieb er sich das schmerzende Hinterteil, auf das er mit voller Wucht gefallen war. Dann ging er langsam wieder auf die dunkle Öffnung zu, die Hände vor sich ausgeschreckt und vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Als er direkt vor der Schwelle stand, stießen seine Hände auf eine leicht federnde, aber undurchdringliche unsichtbare Mauer. Verwundert hielt der junge Mann inne. Bisher war ihm so etwas nur in stark abgeschwächter Form begegnet. Mit etwas physischer Kraft haben sich die Barrieren bisher immer überwinden lassen. Doch diesmal nicht. Sosehr er sich auch bemühte, die unsichtbare Wand ließ sich nicht durchbrechen.
Schließlich gab Chris erschöpft auf und lehnte sich gegen die Höhlenwand. Für ihn gab es keinen Weg hinein. Dem Mädchen jedoch war es mühelos gelungen. Wenn er als erster gegangen wäre, hätte er es vielleicht auch geschafft. Vielleicht konnte ja nur einer auf einmal die Höhle betreten, vielleicht gelang es aber auch nur der dritten Jungfrau nach dem letzten Regenfall - so etwas sähe dem feeischen Sinn für Humor sehr ähnlich. Auf jeden Fall war er nun draußen und sie war in der Höhle gefangen. Denn er war sich ganz sicher - wenn der Weg hinein verschlossen war, dann gab es auch keinen Weg hinaus.
Vor seinem inneren Auge blitzte wieder das Bild des Mädchens auf, wie sie beim Anblick der Höhle vor Freude erstrahlte. Vielleicht hatte sie nur Glück gehabt, dass sie die Höhle betreten konnte. Oder vielleicht war es auch eher Pech, überlegte er in Anbetracht der Umstände. Vielleicht wusste sie aber auch, was sie tat, obwohl die Chancen dafür, seiner Einschätzung nach, nicht sehr
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