Feenland
Puppe sie anlächelt.
10 Der Agent
Armand wacht langsam auf. Bewußtseinsbrocken stoßen
zusammen, treiben auseinander und stoßen wieder zusammen wie
Eisschollen auf den schwarzen Wassern eines überschwemmten
Stroms. Nacht. Es ist Nacht. Er liegt auf einem kalten, harten Boden,
Nacken Rücken Beine steif. Eine fremde Zimmerdecke, ein fremdes
Zimmer. Der grüne Schein von Straßenlaternen, zerschnitten
von den Streifen einer Jalousie, fällt über ihn. Als er die
Hände vor das Gesicht hebt, entdeckt er, daß sie mit
getrocknetem Blut bedeckt sind. Es ist nicht sein Blut.
Es ist wieder etwas Böses geschehen.
Die Frau.
Mister Mike hat die Frau getötet.
Armand setzt sich vorsichtig auf.
Er befindet sich in einer Wohnung. Eine Couch ist umgekippt.
Farbloses Gel quillt aus Schlitzen in ihrem Gewebe. Blutspritzer an
einer Wand, Blutspuren über verrutschten Teppichen, die zu einer
Tür führen. Sie ist nicht ganz geschlossen. Der schmale
Spalt gibt den Blick auf weiße Badezimmerfliesen frei.
Im grünen Licht, das durch die Jalousien einfällt, sieht
das Blut schwarz aus.
Armand vernimmt ein Geräusch. Sein Herz klopft schneller, und
er dreht sich um. Ein Nest aus Kissen ist in einer Ecke zu erkennen,
unter einem großen Farn, der in einem Makramee-Korb hängt.
Einer vom Kleinen Volk sitzt dort und beobachtet Armand aus dunklen,
glänzenden Augen. Er hält eine blutige Keule fest, die von
irgendeinem Pelztier stammt.
Armand fragt, was geschehen ist, aber der Elf legt nur einen
langen Zeigefinger an die Lippen. Er trägt einen losen
Papier-Coverall und Plastiksandalen.
Armand sagt, daß er das alles nicht versteht. Der Elf deutet
auf das Bad, ehe er mit seinen scharfen Zähnen ein Stück
Fleisch aus der Keule reißt und mitsamt dem Fell verschlingt.
Armand will nicht da hineingehen, noch nicht. Statt dessen schlendert
er in die Preßform-Kochnische und wäscht sich
sorgfältig die Hände. Blutiges Wasser läuft über
die im Spülbecken gestapelten Tassen und Untertassen.
Sämtliche Küchengeräte blinken die gleiche Botschaft,
immer und immer wieder, in roten oder grünen Lettern:
System außer Betrieb. Bitte verständigen Sie den
Service!
Armand findet auf der Arbeitsplatte eine halbe Stange altes Brot.
Er bricht ein Stück ab und kaut darauf herum, während er
durch die Wohnung schlendert.
Der Elf beobachtet ihn aus seiner Ecke.
Ein Decken-Fernseher, ein paar verstreute Zeitschriften aus
glattem, wiederverwertbarem Papier, türkische Sitzkissen, ein
raffiniert geschnitzter Wandschmuck aus Fischen und Seetang. Das Holz
der Plastik duftet schwach nach Rosen. Von einem kurzen Flur zweigen
zwei winzige Zimmer ab. Jedes riecht anders, eines wirkt ordentlich,
im anderen liegen Kleidungsstücke herum. Etwas bewegt sich unter
dem Bett, aber es ist nur ein kleiner Reinigungs-Mobot, die Sorte,
die selbsttätig in Aktion tritt, wenn niemand im Raum ist. Neben
der Tür am Ende des Flurs hängt eine Bedienungskonsole
schief, geschwärzt von einem einzelnen Brandloch. Hinter den
Jalousien im Wohnzimmer das Panorama der nächtlichen Stadt.
Die Fernseh-Uhr verrät Armand, daß es zehn nach
fünf und der Morgen nicht mehr weit ist. Ein Holowürfel
erwacht zum Leben, als er ihn berührt. Er kippt ihn von einer
Fläche zur anderen, und die Szenen im Innern kommen und gehen:
Ein Mann lächelt ihn an; die sonnenhellen Stroh- und
Ockertöne einer ausgedörrten Landschaft; ein Haus mit
Terrakotta-Ziegeldach unter einem tiefblauen Himmel; ein paar Leute
auf dem Dach eines tropfenförmigen Stadtautos, das im
sonnengefleckten Schatten einer Pappel geparkt ist. Fragmente eines
Lebens. Armand hält den Würfel dem Elf entgegen. Der nimmt
ihn und wirft ihn achtlos beiseite.
Armand setzt sich und versucht nachzudenken. Mister Mike kam zum
Vorschein, um zu spielen. Wahrscheinlich ließ ihn der Elf in
die Wohnung, damit er die Frau umbringen konnte, die mitangesehen
hatte, was dem kleinen Mädchen Böses angetan wurde. Armand
empfindet eine gewisse Erleichterung. Nun, zumindest ist es vorbei.
Vielleicht kann er jetzt gehen.
Er fragt den Elf, ob die Sache damit erledigt ist, und diesmal
springt der Elf auf und schiebt Armand in Richtung Badezimmer.
»Meinetwegen«, sagt Armand. »Meinetwegen.«
Grelles weißes Licht, das von den weiß gefliesten
Wänden abprallt. Jemand liegt zusammengesunken in der
Duschkabine. Eine Frau mit blutdurchtränktem Hemd. Blondes Haar
verdeckt das Gesicht. Der Elf patscht näher, bleibt
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