Feenland
Klinik der Metro-Station an der Place de la Concorde starb. Die
Polizei behauptet, daß er Selbstmord beging.«
»Das stimmt nicht«, entgegnet Alex ruhig.
»Er war nicht der Typ, der einfach aus dem Leben scheidet.
Ich wußte, daß er so was nie tun würde.«
»Er wurde umgebracht«, sagt Alex. »Sie lockten ihn
in den Tunnel, fingen ihn ab und setzten ihn außer Gefecht. Den
Rest besorgte der Zug. Es klingt brutal, ich weiß. Aber es ist
die Wahrheit.«
»Und ich nehme an, Sie wissen, wer ihn umbrachte.«
»Feen. Die – und noch jemand. Ein Mensch, der ihnen
half. Mindestens einer. Sie haben nämlich auch menschliche
Agenten in ihren Diensten. Viele stammen aus den Reihen der
Liberationisten, andere sind Einzelgänger, Verrückte –
alle dem Zauber der Feen erlegen. Der Mann wurde beobachtet, mal
hier, mal dort. Es steht fest, daß er sich in wenigstens zwei
Fällen ganz in der Nähe des Tatortes aufhielt. Vorgestern
abend sah ich ihn mit eigenen Augen vor Ihrem Wohnhaus herumlungern.
Wir hatten ein kleines Gespräch, aber dann entwischte er
mir.«
»Was wollte er da? Was sagte er?«
Alex hebt einen Finger an die Lippen. »Informationsaustausch,
so war es abgemacht. Erzählen Sie mir von dem Mord, den Sie
mitansahen!«
»Wir sahen ihn nicht mit an. Wir hörten nur die
Schreie…«
Wieder wartet Alex geduldig, bis sie weitersprechen kann. Er
hört aufmerksam zu, während sie erzählt, wie sie das
Mädchen auf der Straße fand und heimbrachte, wie sie
später alle nach den verschwundenen Kindern suchten, wie sie den
Leichnam der Kleinen unter dem seltsamen Graffito entdeckten. Sie
erzählt auch von ihrer Begegnung mit dem Perimeter-Peeper und
der Sicherheits-Patrouille.
»Sie wissen Bescheid«, schließt Morag. »Sie
wissen, was sich dort abspielt.«
»Ich verstehe Ihre Gefühle, aber es bringt nichts, wenn
Sie Ihren Zorn an kleinen Befehlsempfängern auslassen.«
Morag atmet ein paarmal tief durch. »Also gut. Erklären
Sie mir, weshalb die Feen dem kleinen Mädchen die
Eierstöcke herausschnitten.«
»Weil sie noch mehr Wechselbälger brauchen. Sie haben
zunächst mit der Konditionierung von Kleinkindern
experimentiert, aber nun hat es den Anschein, als wollten sie die
Umwandlung bereits im Embryonen-Stadium vornehmen. Das Sperma ist
kein Problem. Sie finden in den Randgebieten genug arme Tölpel,
die ihrem Zauber erliegen und sie verschwenderisch mit Samenzellen
versorgen. Schwieriger ist es, an menschliche Eizellen heranzukommen.
Ich schätze, sie könnten eine Frau entführen, sie mit
Hormonen vollpumpen, um eine Art Menopause herbeizuführen, und
dann erneut mit der Ovulation beginnen. Auf diese Weise würde
sie jede Menge Eizellen auf einmal produzieren, oder?«
»Ja. Aber das dauert seine Zeit und ist vermutlich zu
riskant.«
»Ich denke, daß sie ganz einfach die Mühe
scheuen«, sagt Alex. »Deshalb nehmen sie unreife
Eierstöcke. Einen Teil davon frieren sie sicher ein, andere
bringen sie durch Hormonbehandlung zur Reife.«
»Und wozu brauchen sie die Wechselbälge?«
»Wozu brauchen wir Puppen?«
»Hm…«
»Natürlich ist es nicht ganz so einfach. Im Grunde gibt
es drei Arten von Feen. Die Übersinnlichen, die meist für
sich allein leben. Die Sinnlichen, die mit ihrem Zauber Menschen
bannen, aber nur, um Sperma zu sammeln und damit künstliche
Eizellen zu befruchten, die sie aus ihren eigenen Zellen herstellen,
um ihre Art zu vermehren. Und dann gibt es noch die – anderen.
Die sind vermutlich von ihr. Zumindest tragen sie ihre ganz besondere
Handschrift. Ich erfuhr erstmals in Amsterdam von ihrer Existenz. Man
hatte einen Wechselbalg am Strand aufgegriffen, aber als ich hinkam,
war er bereits verschwunden. Und genau in dieser Gegend nahm der
Kinder-Kreuzzug seinen Anfang.«
Morag lacht. Sie kann nicht anders. Es ist genau die Art
allumfassender, paranoider Verschwörungstheorie, die in den
Köpfen der drogengeschädigten Slumbewohner herumspukt, eine
Zauberwelt verborgener Kräfte, häufig errichtet auf dem
Fundament von Wahnvorstellungen der rechten Hirnhälfte oder von
Visionen, die eine Folge von Fembot-Infektionen sind. Obwohl sie noch
nicht lange beim Mobilen Hilfstrupp Dienst tut, hat sie alles
gehört – von UFO-Entführungen, in denen meist ein
berühmter toter Medienstar die Hauptrolle spielt, über
prosaische Berichte von Gedankenstrahlen, die menschliche
Erinnerungen aufsaugen und in einen Riesen-Computer speisen, der sich
irgendwo im Bauch von Paris befindet, bis hin
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