Feenland
an. Um Morags Fassung ist es
geschehen. Sie stürzt auf die Straße hinaus und läuft
beinahe in das Taxi, das sie bestellt hat.
Als das Taxi anfährt, erklärt Morag dem Fahrer,
daß sie es sich anders überlegt hat: Sie will nicht zum
Depot des Mobilen Hilfstrupps draußen beim Flughafen, sondern
in die Innenstadt. Der Fahrer zuckt die Achseln und wendet direkt vor
den Polizeiautos, die am Eingang des Wohnblocks vorgefahren sind.
Morag hält während der gesamten Fahrt die Hände
zwischen die Schenkel gepreßt und wartet, bis der
Schüttelfrost das überschüssige Adrenalin aus ihrem
Blut vertrieben hat. Sie ist einmal davongelaufen, und sie ist fest
entschlossen, nicht wieder davonzulaufen, aber zuerst muß sie
wissen, gegen wen sie überhaupt kämpft. Sie kann nicht zu
den beiden Randbewohnern zurück, und sie denkt nicht daran, Dr.
Science um Hilfe zu bitten, aber während ihrer kurzen Zeit beim
Mobilen Hilfstrupp hat sie die Erfahrung gemacht, daß es eine
Person gibt, die alles weiß, was auf den Straßen
passiert.
Morag beugt sich vor und weist den Fahrer an, sie zum Jardin des
Plantes zu bringen.
12 Die wilde Jagd
Claude, der Koch, macht seine regelmäßige Runde von den
Bidonvilles jenseits der Rand-Arkologien durch die halbverlassenen
Vororte bis ins Zentrum der Stadt und wieder zurück. Die meisten
Sozialarbeiter wissen, wo sie ihn täglich finden können.
Heute hat er seine rollende Küche in einer baumbeschatteten Ecke
des Jardin des Plantes aufgestellt, am Fuß des kleinen
Hügels, auf dem sich die berühmte Jussieu-Zeder erhebt
– von einem Herrn gleichen Namens als Keimling unter einem
Dreispitz von London nach Paris geschmuggelt.
Claude hat ein wachsames Auge auf seinen Kochtopf, einen
großen runden Eisenkessel, der in der kalten Morgenluft
über einem Holzfeuer dampft. Wie immer enthält er Bohnen
und Reis. An die zwanzig Männer und Frauen frühstücken
von Papptellern. Die meisten beachten Morag gar nicht, aber Claude
begrüßt sie gutgelaunt.
Er ist immer gutgelaunt, ein kräftiger Mann mit einem
Schmerbauch und einem breiten Grinsen, das tausend Fältchen in
sein wettergegerbtes Gesicht gräbt. Er hat den linken Arm in den
amerikanischen Bürgerkriegen verloren, und der Ärmel seines
karierten Flanellhemds ist mit einer Sicherheitsnadel an der Brust
befestigt. Er ist kein Franzose, sondern ein Cajun aus den Bayous von
Louisiana, und vermutlich heißt er auch nicht Claude. Jeder vom
Mobilen Hilfstrupp kennt Claude, den Koch, und er weiß mehr
über die Randgebiete als jeder andere in und um Paris.
Claude strahlt an diesem Tag noch mehr als sonst, denn er hat eine
Tonne Brot vom Vortag ergattert. Später, sobald der Lastwagen
das Brot bei ihm abliefert, erwartet er eine Menge Gäste. Morag
erklärt ihm, wen sie sucht, und während er nachdenkt,
rührt sie die Reis- und Bohnenmasse mit dem schweren
hölzernen Kochlöffel, der etwa einen Meter lang und unten
schwarz verkohlt ist.
Schließlich sagt Claude: »Ich kenne den Burschen nicht,
aber Justin dort drüben, der war in der Legion. Vielleicht
weiß der etwas.«
Justin ist ein sehr schüchterner junger Mann mit wunden,
rissigen Händen, die aus den zerfransten Manschetten seiner
schmuddeligen Bomberjacke ragen. Er erzählt Morag, daß er
eine Zeitlang mit ein paar Typen von der Legion unterwegs war und
daß einer davon tatsächlich Armand hieß.
»Aber ich habe ihn jetzt mindestens ein Jahr lang nicht mehr
gesehen.«
»Sie wissen nicht, wohin er ging?«
Justin zuckt die Achseln. »Vielleicht ist er tot. Vielleicht
nicht. Er verließ die Legion, bevor seine Zeit um war. Kann
sein, daß er deshalb untertauchen mußte.«
Morag fragt, ob Justin sonst noch etwas weiß, und Justin
überlegt eine Weile. »Ich erinnere mich an seinen
Kombat-Chip. Sein Verhalten im Einsatz, und so.«
»Eine Art Ausweis?«
»Mehr als das. Wissen Sie, wie das bei der Legion
abläuft? Die setzen dir einen Chip ein, in dem eine partielle
Persönlichkeit gespeichert ist. So nennen sie das jedenfalls. Es
ist ein Programm, das so lange von dir und deinen Reaktionen lernt,
bis es dich im Kampf steuern kann. Die Offiziere booten ganz einfach
deine Software und verwandeln dich in einen Wolf. Was dann passiert,
liegt nicht mehr in deiner Verantwortung. Das bist nicht mehr du, der
da kämpft, das ist dein Chip.«
Justin schlingt die Arme um den Oberkörper und schaukelt auf
den Fersen hin und her. Sein Blick geht plötzlich in
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