Feenland
und
erklärt, daß Nina heute nicht zum Dienst erschienen
sei.
»Ich bin ihre Wohnungskollegin. Ich muß sie
sprechen.«
»Sie ist nicht hier«, sagt der Mann und legt auf.
Morag trocknet sich hastig ab, schlüpft in ihre Sachen,
löst das hochgesteckte Haar und bürstet es aus. Sie tastet
sich durch das dunkle, weitläufige Haus und findet Alex in der
gefliesten Küche. Er steht neben der Anrichte und stochert in
einem kalten, mit Käse und Schinken gefüllten Croissant
herum.
Die Angst und die Amphetamine haben Morags Mund ausgetrocknet. Sie
trinkt ein Glas Wasser und fragt, ob sie hier gefangen gehalten
wird.
Alex scheint aus seiner Schläfrigkeit hochzuschrecken.
»Natürlich nicht. Wollen Sie
frühstücken?«
»Ich habe etwas Dringendes zu erledigen. Kann ich dazu das
Haus verlassen? Ich verspreche Ihnen, daß ich nicht zur Polizei
gehe.«
Alex sieht sie an und meint dann: »Selbst wenn Sie das
täten – es würde nichts ändern. Aber seien Sie
vorsichtig! Sie wissen nicht, was da draußen auf Sie wartet.
Kat…«
»Ich möchte lieber allein gehen. Ich komme ganz bestimmt
wieder zurück.«
»Das geht schon in Ordnung. Wir wissen schließlich, wo
Sie wohnen.« Er mustert sie scharf. »Hey, das sollte ein
Scherz sein!«
»Zu viele Leute scheinen zu wissen, wo ich wohne.«
Morag zwingt sich, langsam zu gehen, als sie das Haus
verläßt. Sie denkt nicht daran, den beiden Randbewohnern
zu erzählen, daß mit ihrer Wohnung etwas nicht stimmt. Die
Sache ist die, daß sie ihnen nicht traut. Sie will sich selbst
um die Angelegenheit kümmern.
Die Morgendämmerung empfängt sie grau und freudlos. In
manchen der hohen Häuser brennt Licht; mehr als die Hälfte
ist vernagelt. Eine Frau in einem geblümten Kleid, die
Schmutzwasser in den Rinnstein neben ihrer Tür schüttet,
wünscht Morag einen guten Morgen. Ein langsamer Güterzug
rumpelt das Gleisbett entlang, als Morag die Brücke
überquert. Sie kämpft die Panik nieder und geht weiter.
Eine halbe Stunde später steht sie vor ihrem Wohnblock.
Es dauert eine Ewigkeit, bis der Aufzug im Erdgeschoß
ankommt, und ebenso lang, bis er sich wieder nach oben gequält
hat. Leute auf dem Weg zur Arbeit oder in die Universität
steigen in jeder Etage zu. Morag ruft in der Klinik an, versucht
immer noch, Ninas Assistenten zu erreichen, als der Lift endlich in
ihrem Stockwerk anhält.
Die Tür öffnet sich auf ihre Berührung. In der
Wohnung herrscht völlige Stille. Morag ist sofort auf der Hut,
denn das Apartment hat gelernt, sie zu begrüßen, wenn sie
heimkommt. Dann sieht sie das Brandloch in der Bedienungskonsole und
weiß, daß sie auf der Stelle umkehren und fliehen sollte.
Aber sie weiß auch, daß sie ewig weiterlaufen wird, wenn
sie jetzt die Flucht ergreift.
Kraftlos, verstohlen, geht sie den kleinen Flur entlang. Der
Fernseher ist eingeschaltet, der Ton leise gedreht. Jemand hat die
Teppiche verrutscht, und dunkle Flecken verschandeln die Wände.
Mit einem Schock erkennt Morag, was die Flecken bedeuten – und
im gleichen Moment reißt ein Mann die Badetür auf und
stürmt auf sie zu. Er stolpert über einen Teppich, und
Morag rennt aus der Wohnung und drückt auf den Liftknopf,
drückt ihn ein zweites Mal, ehe sie sich umdreht und den Mann in
der Tür stehen sieht.
Ein großer, grobknochiger, unrasierter Mann Anfang zwanzig,
mit einem ausgefransten Pullover und einer vor Schmutz starrenden
Uniformhose. Seine Blicke wandern hin und her, aber er vermeidet es,
Morag anzusehen.
»Helfen Sie mir!« sagt er. Er tut einen Schritt nach
vorn, zuckt zusammen und weicht zurück, als sei er gegen einen
unsichtbaren Draht gestoßen, eine Barriere, die er nicht
überschreiten kann. »Helfen Sie mir!« wiederholt er.
»Ich will hier raus. Helfen Sie mir bitte!«
»Arbeiten Sie für Alex? Alex Sharkey? Sie kennen ihn?
Ist Nina da drinnen? Nina!«
Das Lächeln des Mannes flackert auf und erlischt, und Morag
weiß alles.
Der verdammte Aufzug kriecht ihr entgegen, Stockwerk um Stockwerk.
Morag drückt die Schwingtür zur Nottreppe auf, läuft
so schnell wie möglich nach unten. Die Concierge ist nicht da,
und so holt Morag ihr eigenes Handy heraus, um die Polizei anzurufen
und ein Taxi zu bestellen.
Sie kauert in einer Ecke der Eingangshalle, am ganzen Körper
zitternd, und kämpft gegen die Tränen an. Ein paar
Studenten werfen ihr erstaunte Blicke zu, ehe sie zu ihren
Vorlesungen weitereilen. Dann kommt eine Puppe im Wartungs-Coverall
durch die Tür und starrt sie
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