Feenland
den
direkten Aufstieg aus einem Bidonville bei Paris in den Himmel der
virtuellen Werbung geschafft hatte. Ihre Aschenbrödel-Geschichte
hatte sich wie ein Komet durch die informationsübersättigte
Medienwelt gebrannt und ihren Höhepunkt in einem Kontrakt mit
InScape erreicht, den sie nach einem halben Jahr spektakulär
beendete. Nachdem sie auf einem einseitigen Manifest den Abbau
männlicher und weiblicher Rollenklischees in der gesamten
VR-Reklame gefordert hatte (was einen Kommentator zu dem wenig
schmeichelhaften Vergleich mit einer früheren Antoinette
veranlaßte, der letzten Königin von Frankreich, die dem
Volk wenigstens Kuchen angeboten habe, während diese
überhebliche gamine nichts als Blabla anbiete),
verschwand sie von der Bildfläche und tauchte wenig später
in der Festung von Glass auf.
Todd ist sich nicht im klaren darüber, ob sie ein armes
reiches Mädchen ist, das nach einer starken Vaterfigur Ausschau
hält, oder ob sie nur mit unglaublicher Raffinesse an ihrem
Medienbild arbeitet. So oder so – sein Weg führt nur
über sie. Und ja, sie ist schön, selbst wenn man in
Betracht zieht, daß ihr Morpho leicht idealisiert wirkt. Sie
hat die tiefschwarze Haut, die lange Nackenlinie und die hohe
Schädelform einer Pharaonen-Prinzessin. Ihr Haar ist zu dichten
Ährenzöpfen geflochten und mit Siliziumsplittern
geschmückt, die in verschiedenen Mustern aufblitzen. Ihre Augen
sind gehämmertes Gold; ihre Augenbrauen bilden einen einzigen
Strich über diesen Augen, ein winziger Makel, der sie noch
reizvoller erscheinen läßt als bloße Perfektion. Das
Lächeln ihrer vollen Lippen wirkt träge und sehr breit. Es
ist das Lächeln einer Löwin.
Einer der hünenhaften Soldaten stellt eine Flasche Johnny
Walker Black Label und einen Flachmann mit trübem Raki bereit.
Todd kann nicht umhin, das schwache Zittern in der Hand des jungen
Mannes zu bemerken, den Schweiß, der ihm auf der Stirn steht.
Seine Wangen sind infolge der Steroide von Aknepusteln
übersät.
Marku stellt Todd vor, schenkt sich Whisky ein und prostet dem
Abbild von Antoinette zu. ›Jete te Gjate.‹ Auf ein
langes Leben. Todd folgt seinem Beispiel, und Marku wiederholt den
Trinkspruch, diesmal mit Raki. Auch Todd kippt ein Glas von dem Zeug.
Er fühlt sich leicht benebelt, aber wenigstens hat er keine
Angst mehr.
Endlich rührt sich Antoinettes Morpho, und ihre Stimme kommt
aus der Luft über ihren Köpfen. Sie lobt Todds Beitrag
über den Kinder-Kreuzzug. »Es ist immer nützlich,
dieses besondere Problem aus einer neuen Perspektive zu
betrachten«, sagt sie.
Sie hat einen britischen Akzent. Todd erinnert sich, daß sie
behauptet, ihr Englisch aus BBC-Sendungen gelernt zu haben.
»Ich hatte gehofft, von Ihnen mehr über den Kreuzzug zu
erfahren«, kontert er.
Antoinette schenkt ihm ihr träges Raubtierlächeln. Ihr
Blick ist genau auf Todd gerichtet: Die
Fernmeß-Ausrüstung, die sie benutzt, ist erstklassig, aber
das hat er nicht anders erwartet.
»Die Interessen des Kreuzzugs decken sich in manchen Punkten
mit unserer Sache«, erklärt sie, »in vielen anderen
allerdings nicht. Das entspricht durchaus unseren Vorstellungen.
Schließlich ist das Web eine Arena der beschleunigten
Diskussion. Wie heißt es so schön? ›Im Web ist alles
möglich und zwar in jeder nur erdenklichen
Konfiguration.‹« Das ist ein Zitat aus den Phrasen, die
Glass zu dreschen pflegt.
»Eine Frau im Kreuzzug versuchte mich für ihre Ziele zu
gewinnen.«
Antoinette wischt das mit einer raschen Geste beiseite. Ihre
Handflächen sind rot gefärbt. »Das spielt jetzt keine
Rolle«, wehrt sie ab.
»Sie zitierten vorhin Glass«, sagt Todd. »Sind
Zitate alles, was Sie für mich haben?«
»Unsere Begegnung an sich ist schon eine Story,
oder?«
»Genau«, wirft Marku ein.
»Nicht ohne meinen Kameramann«, widerspricht Todd.
»Sie erhalten von uns eine Aufzeichnung dieses
Treffens.«
»Sie müßte mit einem Copyright-Verzicht versehen
sein.«
»Einverstanden.«
»Wie viele Fragen darf ich stellen? Drei?« Todd merkt,
daß er mehr als nur beschwipst ist. Vielleicht war es keine so
gute Idee, sich diese Serenity-Pillen einzuwerfen. Dennoch sagt ihm
sein Bauch, daß er durch aggressive Fragen am ehesten ein paar
brauchbare Dinge erfahren kann. Außerdem hat er sich noch nie
auf das PR-Gesäusel verstanden, das Medien-Stars von Reportern
erwarten.
»Eine seltsame Beschränkung für einen ehrgeizigen
Mann«, entgegnet Antoinette.
»Soviel ich weiß,
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