Feenland
kauert in den durchgesessenen Polstern und starrt durch die
staubige Windschutzscheibe auf die Ruinen. Männer stehen in
kleinen Gruppen an den Straßenecken, rauchen und trinken. Die
meisten tragen halbautomatische Gewehre auf dem Rücken, die mit
dem Lauf nach unten hängen. Die untergehende Sonne taucht alles
in ein apokalyptisches Licht.
»Keine Sorge«, sagt Marku. »Solange es hell ist,
passiert hier nichts.«
»Ich habe in New York schlimmere Straßen gesehen«,
sagt Todd. Ein Überfall oder eine Entführung ist die
geringste seiner Sorgen. Allmählich überlagert eine
nervöse Unrast die milde Serenity-Wärme, die ihn
einhüllt. Wer sich auf eigene Faust auf gefährlichen Boden
begibt, verstößt gegen eine Grundregel der
Berichterstattung in Krisengebieten. »Ich dachte, wir
hätten freien Zugang«, setzt er hinzu.
»Bis zu einem gewissen Grad«, entgegnet Marku vage. Er
duftet überwältigend nach Kölnischwasser; unter den
Armen seiner Leinenjacke haben sich halbmondförmige
Schweißflecken gebildet. Todd kommt der Gedanke, daß
Marku mehr Angst hat als er selbst.
Das Taxi verläßt die Hauptstraße und biegt in ein
Gewirr kleiner Gassen ein; niedrige Lehmhäuser drängen so
nahe heran, daß sich ihre überstehenden Dächer fast
berühren. Der Taxifahrer schaltet das Licht ein, betätigt
seine Hupe in einem unruhigen arpeggio und jagt den Mercedes
in einer Staubwolke über die Kreuzungen.
Als das Taxi endlich vor einem Haus hält, das sich in nichts
von den anderen Gebäuden unterscheidet, beginnt Marku schnell
und eindringlich auf den Fahrer einzureden. Nach einer Weile fordert
er Todd auf, dem Mann fünfzig Dollar zu bezahlen.
»Ich verspreche ihm, daß er das Dreifache bekommt, wenn
er hier wartet. Er ist einverstanden.«
»Hoffentlich lohnt sich der Einsatz.«
»Sie werden staunen«, sagt Marku nur.
Bewaffnete Soldaten lümmeln in einem Torbogen seitlich des
Hauses. Es sind junge Hünen mit Muskelpaketen und glatter Haut
– Halbwüchsige, deren Kraft und Reaktionsvermögen mit
Wachstumshormonen und fembotgesponnenen Neuronalnetzen gesteigert
wurde. Das ist der neueste Trend in den zahllosen Bürgerkriegen
und Aufständen rund um die Welt: Man nimmt die Kinder des
Feindes gefangen, mit Vorliebe zehn- bis vierzehnjährige Jungen,
und verwandelt sie in kurzlebige Killer. Die Behandlung macht die
jungen Supermänner anfällig für Knochenmark- und
Leberkrebs, Pseudo-Parkinson und epileptische Grandmal- Anfälle, aber die meisten sind längst tot, ehe die
Nebenwirkungen zum Problem werden können. Sie sind mit
Hochgeschwindigkeits-Gewehren ausgerüstet, die aus plumpen
Läufen hülsenlose Geschosse abfeuern, in der Regel schmale
Nadeln mit intelligenten Suchsystemen, die beim Aufprall expandieren
und Widerhaken ausfahren. Einer der Soldaten hält eine Bestie an
der Kette, die ursprünglich vielleicht ein Schäferhund war.
Jetzt wirkt ihr Kopf mit den überdimensionalen Kiefermuskeln wie
eine knorrige, aus dem Boden gerissene Baumwurzel.
Federnd und tänzelnd wie Basketballspieler in einem
Zeitraffer-Video kommen die hochgewachsenen Krieger auf Todd und
Marku zu und kreisen sie ein. Sie tragen das Totenkopf-Abzeichen der
Nationalisten-Regierung. Als Todd seinen Begleiter darauf hinweist,
erklärt Marku mit einem Achselzucken, daß es sich um
Söldner handelt.
»Es gibt derzeit keine Loyalität mehr in der Hauptstadt.
Das macht meinen Job so interessant.«
Todd und Marku werden abgetastet – Todd muß den
Soldaten vorführen, wie sein Notepad funktioniert, ehe sie ihm
glauben, daß es keine getarnte Bombe ist – mit schwachen
Mikrowellen bestrahlt, um eventuell eingeschleppte Fembots
außer Gefecht zu setzen, und schließlich in einen
gepflasterten Hof geführt. Feenlichter glitzern von den hohen
Mauern, die den Platz umschließen, und zwischen
Pflanzkübeln mit Zitronen- und Orangenbäumen sind Lampen
verteilt. Eine hochgewachsene, schlanke Frau in Uniform und
Langschaft-Stiefeln sitzt im Zentrum eines Lichtkreises auf einem
Feldhocker aus Segeltuch. Die beiden Soldaten, die hinter ihr
Aufstellung genommen haben, sind echt; sie selbst ist es nicht.
Antoinette. Ihr Bild schimmert schwach, wie mit Öl poliert.
Sie scheint aus einer perfekten Welt zu kommen, in der selbst das
Licht feiner und reiner ist als anderswo.
Todd hat die ständige Begleiterin von Glass auf vielen Fotos
und Videos gesehen, aber sie ist weit schöner als all die
Aufnahmen. Bis vor einem Jahr war sie ein Supermodel, das
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