Feenland
hat das eine lange Tradition«,
meint Todd. »Erzählen Sie mir etwas Neues über den
Kreuzzug!«
»Der Kinder-Kreuzzug ist gefährlich – nicht
aufgrund seiner Dogmen, sondern aufgrund seiner Organisation. In den
falschen Händen könnte er alles verändern.«
»Und zwar so, daß Sie Ihre Veränderungspläne
bedroht sehen?«
Antoinette antwortet wieder mit einem Zitat von Glass.
»›Die Meta-Umgebung des Webs, die alle virtuellen
Möglichkeiten einschließt, ist real und unbegrenzt.
Staaten sind nur noch Fiktionen, zusammengehalten durch gemeinsame
Wahnvorstellungen. Die Demokratie stellt eine Fiktion in der Fiktion
dar. Sie ist nicht mehr als ein Sonderfall der menschlichen
Erfahrung. Im Web ist alles möglich, weil alles erlaubt
ist.‹«
»Das Zeug kann ich aus jedem Archiv abrufen. Warum ist Glass
ein Bündnis mit dem Kreuzzug eingegangen?«
»Wir haben den Kindern des Kreuzzugs eine Zuflucht
angeboten«, sagt Antoinette. »Sie wissen das, Mister Hart.
Jeder weiß das. Wir bieten ihnen nicht mehr als das; es ist
alles, was wir für sie tun können. Sie behaupten nun,
daß die Bewegung weitere Anhänger um sich scharen
möchte, Mister Hart. Ich würde gern mehr darüber
erfahren.«
»Die Frau war reichlich alt, und sie sah aus wie ein
Elefanten-Arsch. Sie hat versucht, mich zu küssen. Ich
schätze, sie wollte mich antörnen. Ich ergriff die Flucht,
ehe sie es schaffte.«
»Sie müssen sich deshalb nicht schämen«, sagt
Antoinette. »Sexuelle Panik ist eine natürliche Reaktion,
wenn Männer das Gefühl bekommen, die Kontrolle über
eine Situation verloren zu haben.«
Zorn steigt in Todd auf und brennt sich einen Weg durch die
Alkoholhitze in seinem Blut. »Ich berichte die Dinge so, wie ich
sie sehe«, erklärt er. »Sie können hineinlesen,
was Sie wollen. Ich weiß nicht einmal ob Sie echt
sind.«
»Natürlich bin ich nicht echt.«
»Ich meine, ob Sie die echte Antoinette sind oder nur ein
Expertensystem, das ein Morpho manipuliert.«
»Ist Ihnen das so wichtig? Sie könnten uns von Nutzen
sein, Mister Hart. Wir könnten Ihnen von Nutzen sein.
Würden Sie gern mehr erfahren?«
»Deshalb bin ich hier.«
»Sie sind hier, weil Ihr Hotelzimmer überwacht und jeder
Ihrer Schritte verfolgt wird.«
»Im Holiday Inn werden alle Hotelzimmer
überwacht.«
»Das Anzapfen der hoteleigenen Multimedia-Kabel war nicht die
beste Idee. Sämtliche Gespräche, die Sie führen,
werden abgehört.«
»Deshalb möchte ich mit Glass von Angesicht zu Angesicht
sprechen. Was halten Sie davon?«
Antoinette lacht, und dann schrumpft ihr Abbild in sich zusammen,
verdichtet sich zu einem weißen Lichtpunkt, der einen Moment
lang dicht über dem Boden schwebt und dann in die
Abenddämmerung über dem kleinen Hof aufsteigt. Die beiden
Soldaten treten vor. Sie haben ihre Pistolen gezogen und sind taub
gegenüber Todds Protesten.
»Das Geschrei nützt nichts«, sagt Marku, als sie
aus dem Hof geführt werden. Er scheint sich mit dieser Wende
abgefunden zu haben.
»Ich glaube nicht, daß sie uns umbringen, sonst
hätten sie es gleich im Hof getan, oder?«
»So was erledigt man bei uns meist am Fluß«,
erklärt Marku mit gepreßter Stimme.
»Vielleicht bringen sie uns zu Glass. Ist es nicht so, Jungs?
Nichts lieber als das, aber ich muß zuerst mein Zeug einpacken,
und ich brauche meinen Kameramann. Wie wäre es also mit einem
kurzen Abstecher zum Hotel? Ihr nehmt einen Drink und eßt eine
Kleinigkeit, es dauert wirklich nicht lang. Ich meine…«
Todd zögert einen Moment, als sie ihn zur dunklen Straße
hin drängen. »Ich meine, man muß ja nichts
überstürzen.«
Das Taxi ist verschwunden. Die beiden Soldaten halten Todd und
Marku fest, während einer ihrer Kameraden in ein Funkgerät
spricht. Ein zorniger Wortschwall knattert ihm entgegen. Er
schließt die Faust über dem Mikro und sagt etwas zu den
anderen.
»Sie warten auf jemanden«, erklärt Marku, als Todd
ihn fragt, was los ist.
Dann wirbeln die Soldaten herum. Ein Armeelaster rast mit
aufgeblendeten Scheinwerfern und heulendem Motor durch die schmale
Straße auf sie zu. Die jungen Hünen weichen nicht von der
Stelle, sondern beginnen zu schießen. Die Windschutzscheibe des
Trucks zersplittert und bricht aus dem Rahmen. Der Motor spuckt einen
Geysir heißer Funken, und das Gefährt kommt in einem
Schauer von Lehmziegel-Brocken schlingernd zum Stehen. Neue
Gewehrsalven, unerträglich laut zwischen den engen Mauern.
Schüsse kommen von der Dachlinie. Die
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