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Feenland

Feenland

Titel: Feenland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul J. McAuley
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anständige
Weiße.«
    »Ich bin ein Mensch mit festen Gewohnheiten«, sagt
Alex.
    Der Fahrer setzt ihn gegenüber Ma Nakomes Etablissement
ab.
    »Ich warte in der Nähe von Aldgate auf Kunden«,
sagt er, nachdem Alex bezahlt hat. »Sie kommen rüber und
fragen nach mir, ja?«
    »Klar«, verspricht Alex, obwohl er weiß, daß
er sein Taxi direkt bei Ma Nakome bestellen wird. Obwohl es auf
Mitternacht zugeht, herrscht Hochbetrieb. Leute sitzen an den
Plastiktischen draußen auf dem Gehsteig, und die kleine Bar ist
überfüllt, während die Stimme von Hi Life Dub
über die Köpfe der Kunden hinweg in das heiße Dunkel
dröhnt.
    Alex ist hier Stammkunde, und Ma Nakome kommt persönlich aus
der Küche, um ihn zu begrüßen. Sie gibt ihm einen
Tisch im Hintergrund des Lokals, am Rand der Estrade, einen
Vorzugsplatz, an dem man sieht und gesehen wird. Ma Nakome ist eine
dicke Matrone, noch schwerer und runder als Alex, in ein Wickelgewand
aus rotgoldenem Kattun gehüllt, mit einem goldblitzenden
Lächeln in ihrem glänzendschwarzen Gesicht. Wie die
Hälfte ihrer Kunden stammt sie aus Somalia und ist Teil einer
Gemeinde, die sich im Lauf der letzten zwanzig Jahre in East London
etabliert hat. Inzwischen gibt es hier noch jüngere
Immigranten-Gemeinden: aus Nigeria und Albanien, von den Tonga-Inseln
und dem versunkenen Archipel Polynesiens. Die Flüchtlinge
kommen, wie zu Beginn des letzten Jahrhunderts die Polen,
Weißrussen und litauischen Juden kamen. Das East End ist und
bleibt das Tor, durch das jede neue Vertriebenen-Welle über
London hereinbricht.
    Die Somalis haben es zu Wohlstand gebracht. Die meisten von ihnen
waren Akademiker – Anwälte, Lehrer, Wissenschaftler, die
geistige Elite ihres Landes. Auch wenn die Männer unter dem
Einfluß von Khat in Apathie versanken, um der trostlosen
Wirklichkeit von Brick Lane zu entrinnen, die Frauen rackerten und
organisierten unbeirrt. Sie bilden mittlerweile eine festgefügte
Gemeinschaft, die sich aber keineswegs nach außen abschottet
– offen für britische Einflüsse und doch bemüht,
das Beste der eigenen Kultur beizubehalten und zu integrieren.
    Alex ißt eine große Portion Stew aus Lamm und
grünen Bohnen, serviert auf gebackenen Bananenblättern;
dazu gibt es Okra und Süßkartoffeln und ein Glas eiskaltes
Sappora-Bier. Die Wirkung des Aufputschmittels läßt nach,
gefolgt von der typischen Mundtrockenheit.
    Er nimmt sich gerade eine Schüssel kalten, mit Kümmel
gewürzten Ziegenmilch-Joghurt vor, als ihm jemand eine Hand auf
die Schulter legt. Er dreht sich um und sieht Billy Rocks Botenjungen
Doggy Dog. Der hünenhafte Fahrer steht dicht hinter ihm, die
nackten Arme über einer schwarzen Lederweste verschränkt,
so daß die Stachel entlang der muskelbepackten Oberarme gut zur
Geltung kommen.
    »He, du Wichser«, sagt Doggy Dog, »warum sitzt du
nicht an deiner Arbeit? Tu was für dein Geld, anstatt dich
vollzustopfen wie ein Schwein, Mann!«
    Doggy Dog holt mit der bloßen Hand etwas Joghurt aus der
Schüssel und probiert. Er trägt einen Ring aus schwerem
Rohgold am Daumen, der an seiner Wange glitzert, als er sich die
Finger ableckt.
    »Schmeckt auch wie Schweinefraß«, sagt Doggy Dog
betont laut.
    Die anderen Gäste schauen her und wieder weg.
    »Hast du eine Nachricht von Billy?« fragt Alex.
    »Billy, Billy, ich kann den Namen nicht mehr hören! Der
Typ ist wieder mal völlig weggetreten. Zappelt wie ein Wurm in
seinen echten Büffelleder-Polstern und dröhnt sich mit
dieser Satansmusik zu.«
    »Bist du größenwahnsinnig, oder hast du was von
seinem Stoff erwischt?«
    Alex hat einen kühlen, ruhigen Tonfall, der noch unter der
Angstschwelle liegt. Er vermutet, daß nicht einmal Doggy Dog
hier etwas provozieren wird.
    »Shit hab ich nicht nötig, Mann!« erklärt der
Junge mit königlicher Herablassung.
    Alex erkennt, daß er die Wahrheit sagt. Doggy Dog wird von
seinem eigenen Größenwahn in höhere Sphären
getragen. Er trägt ein langes T-Shirt mit grünen, roten und
goldenen Streifen über den gleichen weiten Bluejeans, die er
schon am Vortag anhatte. Eine kleine Lederkappe sitzt schräg auf
seinem struppigen Haar. Unter Doggy Dogs T-Shirt zeichnen sich die
Umrisse einer Automatik ab, die im Bund seiner Jeans steckt.
    Der Junge beugt sich vor, bis sein Gesicht nur noch Zentimeter von
seinem Gegenüber entfernt ist. Alex zuckt nicht mal mit der
Wimper.
    »Ich weiß, daß ich dir Angst einjage«, sagt
Doggy Dog. »Genauso soll es sein. Ich bin nämlich

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