Feenland
Gen-Entwicklung einer Art
K-Leben beschreiben. In den Anweisungen versteckt befindet sich eine
einzelne Zeile, die nicht zu dieser Algorithmus-Folge gehört. Er
holt sie heraus und konvertiert den Bin-Hex-Code in ASCII-Zeichen. Es
handelt sich um eine Web-Adresse.
»Alfred Russel Wallace, wenn mich nicht alles
täuscht«, murmelt Alex.
Er kennt ein halbes Dutzend weit raffinierterer Methoden, um so
eine Adresse zu verschlüsseln. Entweder ist das kleine
Mädchen reichlich naiv, oder sie will zumindest diesen Eindruck
erwecken. Er weiß nicht recht, welche der beiden Alternativen
die weniger schlimme ist.
Immerhin ist sie momentan der einzige klare Wegweiser zum Zentrum
seiner Probleme. Und falls ihr Wissen wirklich hält, was sie
versprochen hat, dann wird dieses K-Leben, dessen Daten sie ihm
übermittelt hat, die Schwierigkeiten mit den
Randgleiter-Parasiten ein für allemal lösen.
Von Zweifeln geplagt, lädt Alex Kopien des neuen
Geschöpfs in sein K-Leben-Ökosystem. Nur wenige davon, und
nur in einen Speicherbereich, denn falls sich die Datei als
Systemfresser entpuppen sollte, kann er die Kopien vielleicht
eingrenzen und zerstören, bevor sie allzu großen Schaden
anrichten. Dann setzt er die VR-Brille auf, lehnt sich zurück
und sieht sich die Geschichte an.
Das K-Leben-System besitzt mehrere Beobachtungs-Level. Alex stellt
die Global-Ansicht ein; sie stellt die diversen Organismen als
unterschiedlich geformte Icons dar, deren Farbe verrät, wieviel
Energie sie besitzen. Er scheint über einer grünen,
verknitterten, zweidimensionalen Welt zu schweben, auf der es von
leuchtend bunten Klecksen wimmelt. Die Ränder der grünen
Welt heben sich scharf gegen das schwarze Nichts ab, in dem sie
schwebt. Die Farbflecken pulsieren und flackern, da sich die
K-Leben-Organismen mit jedem Ticken der Ökosystem-Uhr neu auf
die Bitstrom-Dichte und die Konfigurationen anderer Organismen in
ihrer Umgebung einstellen.
Es gibt über zweihundert Spezies – was für diesen
Typ von K-Leben-Ökosystemen hart an der Grenze der
Stabilität liegt. Der neueste Trend für K-Leben-Freaks sind
PondLife-Systeme – simuliertes Wasser mit simulierten Protozoen,
Bakterien, Algen und Viren – in denen Echt-Leben-Prozesse in
molekularem Maßstab modelliert werden. Aber sein Computer hat
nicht den Arbeitsspeicher, um derart komplexe Abläufe schneller
als in geologischen Zeitaltern zu bewältigen, und außerdem
genießt Alex die Illusion, wie ein gütiger Gott über
seinem flachen Mikrokosmos zu schweben.
Ein Großteil seines K-Leben-Ökosystems hat sich als
eine Art offene Prärie mit einer Fülle kleiner,
dichtgedrängter Plantoiden stabilisiert, Organismen, die sich
von der Bitstrom-Dichte des Systems ernähren, so wie sich reale
Pflanzen von Sonnenlicht, Luft und Wasser ernähren. Hie und da
ragen Inseln mit wildem, farnähnlichem Gestrüpp auf, und
fast im Zentrum erhebt sich ein Dschungel mit drei
Pflanzen-Stockwerken, wo eine kaleidoskopische Vielfalt von
Riesengewächsen intensiv mit dem Recycling jener
Bitstrom-Dichten befaßt ist, die nicht ausreichen, um die
Prärie zu ernähren.
Global gesehen ist dieser Dschungel ein krauser Buckel in der
Ebene des Ökosystems. Tier-Organismen, die an Käfer
erinnern, sind auf Zwanzig-Bit-Icons reduziert. Manche bilden Herden
und wandern langsam dahin – Herbivoren, die sich direkt von den
Plantoiden ernähren. Die Karnivoren, die den
Code-Informationsraum der Käfergeschöpfe fressen, bewegen
sich auf einsamen Fährten. Da und dort befinden sich pulsierende
Massen von Clusterfucks, deren Schattierung von Knallrot an den
Rändern über Grün und Indigoblau bis zu einem stumpfen
Schwarz im Zentrum reicht.
Die neuen Käferformen, gelbe, hakenbeinige Schneeflocken,
vermehren sich nicht, wenigstens nicht sofort. Auch fressen sie
nicht, wenigstens nicht sofort. Statt dessen verlassen sie den Fleck
auf der Karte, den Alex ihnen zugewiesen hat, und steuern auf
verschiedenen Wegen den nächstgelegenen Rand des
K-Leben-Ökosystems an.
Alex holt vier aus dem Server. Einer rennt direkt in eine
Clusterfuck-Kolonie und wird absorbiert. Die anderen erreichen den
Rand, der in diesem System eine echte Grenze darstellt, und tasten
sich dann die Barriere entlang. Mehrmals stoßen die neuen
Käferformen auf schlappe Dödel, die dort draußen
herumirren und die von den aktiveren Fressern verschmähten Reste
auflesen, aber sie rühren die Dödel nicht an, obwohl einige
davon sattrot vor Energie sind.
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