Feenland
Mann!«
Alex sieht das Porzellanpferd zuoberst auf dem Haufen angesengter,
rauchgeschwärzter Souvenirs. Das Hinterbein ist an der
Klebestelle wieder abgebrochen. »Du mußt mich unbedingt
mit diesem Typen reden lassen«, sagt er.
Leroy richtet sich auf und fixiert Alex mit seinem strengen
Patriarchen-Blick.
»Ich muß gar nichts. Ich habe das Wohl deiner Mutter im
Auge – im Gegensatz zu dir, weißer Mann! Im Moment ist sie
total zu. Du solltest wissen, daß man nicht auf die eigene
Schwelle scheißt. Manchmal zweifle ich allen Ernstes daran,
daß du… verdammt noch mal, du hörst mir
überhaupt nicht zu!«
»Paß auf, ich habe dort drüben einen Bus stehen.
Ich fahre hinter dir her, Leroy.« Alex merkt selbst, wie wenig
überzeugend seine Worte klingen. »Es ist wichtig. Glaub mir doch…«
»Ich glaube dir aber nicht mehr«, entgegnet Leroy, und
das kommt so leise, daß es Alex fast das Herz bricht.
»Leroy, nur noch diesen einen Gefallen! Ich kenne den Mann,
den du festhältst. Ich kann ihn zum Reden bringen.«
»Das ist das letzte Mal, daß ich dir helfe, Alex. Ich
schwör’s dir!«
»Es ist das letzte Mal«, beteuert Alex. Milena.
Wenn sie nicht anruft, kann er echt einpacken. Und doch spürt er
ein Singen tief in seinem Herzen. Er ist frei und auf der Flucht, und
er kann jetzt nicht mehr anhalten, bis er tot oder untergetaucht
ist.
14 Delbert
Leroy hat Delbert in den Lagerraum seines Clubs gesperrt. Der
Bodyguard ist mit Elektrokabel an einen Plastikstuhl gefesselt. Er
sitzt stolz und aufrecht unter dem flackernden Ring einer
Leuchtstoffröhre, wie ein gefangener König in einer
Rumpelkammer, zwischen Bierkästen und Kartons mit Chips und
gesalzenen Erdnüssen, Lager-Fässern und schwarzen
Kohlendioxid-Zylindern.
Alex geht direkt auf Delbert zu, schlägt ihm mit der flachen
Hand über den Mund und sagt: »Ist nicht persönlich
gemeint, aber ich kann nicht anders.«
Alex hat soeben eine schmerzliche halbe Stunde mit Lexis hinter
sich. Sie wollte ihrem Sohn nicht die Schuld an dem Brandanschlag
geben, aber Alex merkte, wie schwer es ihr fiel.
»Ich werde immer für dich da sein, Alex. Das weißt
du.«
»Du bist immer für mich da gewesen. Erinnerst du dich
noch, wie du mir früher die Lichter der Stadt gezeigt und gesagt
hast, das sei Feenland? Ich glaubte daran, ganz fest.«
»Damals warst du ein kleiner Junge, Alex, und ich habe
ziemlichen Schwachsinn geredet, wenn ich high war. Du solltest die
Worte deiner alte Mama nicht ernst nehmen.«
»Aber ich nehme sie ernst«, entgegnete Alex, und obwohl
Lexis nicht verstehen konnte, was er meinte, lächelte sie und
nahm ihm das Versprechen ab, daß er nicht wieder im Knast
landen würde.
»Du hast schon wieder diesen Blick«, sagte sie.
»Wie damals, kurz bevor sie dich schnappten.«
»Wirklich? Mach dir keine Sorgen! Diesmal steht die Polizei
auf meiner Seite.«
Lexis hörte zu, als Alex ihr versprach, alles
wiedergutzumachen, und sie lächelte und nahm einen Schluck
Rum-Cola und beschwor ihn, gut auf sich aufzupassen.
»Vertrau nie einem Bullen! Du stammst aus dem East End, Alex,
du müßtest das wissen.«
Das Schlimmste war, daß sie noch nichts vom Tod ihres jungen
Freundes wußte. Leroy meinte, er würde es ihr sagen,
sobald Lexis den Schock des Brandanschlags überwunden hatte.
Nun, da Alex’ Handfläche noch von der Wucht des Schlags
brennt, erwidert Delbert seinen Blick. Beide Augen des Bodyguards
sind verschwollen, und getrocknetes Blut verkrustet seine
Nasenlöcher.
»Ich hatte eine höhere Meinung von dir«, sagt
Delbert cool.
»Warum habt ihr die Wohnung abgefackelt?«
»Warum fragst du nicht Doggy Dog? Ich hatte nichts damit zu
tun.«
»Man hat dich gesehen, Delbert!«
»Mann-o, du hängst zuviel bei den Bullen nun,
weißt du das? Ich versuchte bereits dem Alten da klarzumachen,
daß er ganz schön in der Scheiße sitzt – aber
dir brauche ich das wohl nicht zu sagen, Alex! Wenn du schon
über Recht und Unrecht labern willst, dann bleiben wir mal ein
paar Takte bei Kidnapping.«
»Laß mich zwei Minuten mit ihm allein, Alex«, sagt
Leroy. »Ich bringe ihn schon zum Reden.«
»Hey, Alex! Sag dem Alten, er soll sich verpissen!«
Alex schaut Delbert an. Dieser kindlich trotzige Riese, dem
Elektrokabel die übertrieben ausgebildeten Armmuskeln
abschnüren, scheint von Alex den nächsten Zug in diesem
Spiel zu erwarten. Aber Alex spielt nicht Delberts Spiel.
Leroy lehnt an der Tür, und Alex ist sich dessen
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