Feenland
jedermann zu reden. Information sollte ihrer Ansicht nach
frei zugänglich sein; nicht das Wissen zerstört, sondern
der Mensch, der es falsch anwendet. Tatsächlich verbringt sie
die Hälfte ihres wachen Lebens im Netz. Sie macht fast ein
Evangelium daraus.
Schließlich lernt Alex zwei der Moslems persönlich
kennen. Einer ist ein marokkanischer Student mit einem
Wahnsinnswissen in Molekularbiologie, der andere ein langer,
schlaksiger Schlagzeuger um die fünfzig. Alex wird mehr als
high, als er mit ihnen in einer Huka über Pfefferminzöl das
herbe, starke Haschisch aus den Bergen Tunesiens raucht, und er
erfährt, daß der Schlagzeuger in seiner Jugend mit den
Rolling Stones spielte und der Großvater des Studenten im Hotel
Minzah im Tanger arbeitete, als Brian Jones dort abstieg.
»Verbindungen nach überall«, sagt Darlajane B.
»Die Welt ist doch ein kleines Nest.«
Alle lachen – sie sind so hinüber, daß ihnen jedes
Wort komisch vorkommt. Als der Student sagt, eines Tages würden
sie alle Paläste von Sünden läutern,
einschließlich des Zone Zone, lachen sie ebenfalls
schallend.
»Bis dahin bin ich so alt, daß ich froh sein werde,
wenn das Ding hochgeht«, sagt Darlajane B.
»Je älter man wird, desto mehr Neuronenverbindungen
knüpft man«, sagt der Student. Er trägt einen teuren
einteiligen Anzug und ist makellos gepflegt – Alex hat
außer ihm noch keinen Mann mit manikürten
Fingernägeln kennengelernt. »Auch die Zivilisation ist sehr
alt. Viele, viele Verbindungen. Du bist ein Beweis dafür,
Darlajane B., weil du so viele Leute kennst.«
Darlajane B. reicht die Wasserpfeife weiter und meint: »Ich
kannte doppelt so viele, als ich noch in Berlin lebte, aber die
Hälfte davon waren Stasi-Spitzel. Jetzt wähle ich meinen
Freundeskreis sorgfältiger aus.«
Später, als die Moslems gegangen sind, wirkt Darlajane B.
plötzlich überhaupt nicht mehr high.
»Die beiden sind Arschlöcher«, erklärt sie
Alex, »und ihre Gemeinschaft distanziert sich von dem, was sie
tun, aber sie sind unsere Arschlöcher. Klar, sie wollen die
Brutstätten und jede lebende Puppe vernichten, aber sie kommen
an das Rohmaterial ran, das ich brauche, um meine Chips zu
entwickeln. Außerdem verwende ich gern Puppen, die noch ohne
Chips sind, und über diese Typen erhalte ich Zugang zu den
Brutstätten. Puppen ohne Chips lassen sich am besten in Feen
umwandeln, weil sich noch keine Gewohnheiten in ihr Gehirn
eingegraben haben. Gewohnheiten sind eine Fessel für jeden, mein
lieber Alex.«
»Du meinst – ich habe meine festen
Gewohnheiten.«
»Du bist eigentlich ein Nesthocker, Alex, hältst es aber
nie lange an einem Ort aus, weil du einem Traum nachläufst. Das
habe ich längst aufgegeben. Ich bin nicht an diese Dinge
gebunden.«
Darlajane B. macht eine weitausholende Geste. Ihr Zimmer ist
niedrig und fensterlos, ein Bunker mit mattschwarz gestrichenen
Wänden. Staubiger Antistatik-Belag. Blubbernde Aquarien mit
bunten Fischen, die in Schwärmen durch violettes Licht ziehen.
Dazu eine Reihe von Bildschirmen, auf manchen diverse Ansichten des
Clubs, auf manchen eine Auswahl der tausendplus verfügbaren
Fernsehkanäle, und auf einem der Nachthimmel, übertragen
von einem auf dem Dach montierten
Zwanzigzentimeter-Spiegelteleskop.
Darlajane B. lehnt sich in ihr Nest aus Kissen zurück, eine
kleine ältliche Lady in schwarzem Leder, mit einem fünf
Zentimeter hohen Kamm aus klebstoffversteiften Haarspitzen, der von
der Stirn bis zum Nackenansatz ihres ansonsten kahlgeschorenen
Schädels verläuft, die Augen mit schwarzem Kajal umrandet,
die Finger knubbelig von all den Ringen. Sie legt eine Tarot-Patience
und klatscht die großen bunten Karten energisch auf die
Tischplatte.
»Eines Tages werde ich das alles hier zurücklassen und
weiterziehen«, sagt sie. »Und wenn es die Bourgeoisie
zweihundert Jahre in ihren hermetischen Zellen aushält –
ich muß das nicht haben.«
»Willst du damit andeuten, daß ich endlich gehen
soll?«
»Du bist jetzt seit zwei Jahren hier. Hast du deine dunkle
Königin vergessen?«
Alex hat Darlajane B. kurz nach seinem Einzug in die Räume
über dem Zone Zone von Milena und seiner Rolle bei der
Erschaffung der ersten Fee erzählt, aber er ist sich nie sicher,
wieviel sie ihm glaubt. »Vielleicht nimmt sie Kontakt zu mir
auf«, sagt er.
»Wach auf!« Darlajane B. lacht ihr brüchiges,
heiseres Lachen. Sie hatte vor zwei Jahren Kehlkopfkrebs, und obwohl
Such- und Killer-Fembots das
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