Feenland
meisten
Schläfer haben sich entfernt. Aber wenn Sie ihn genau
beschreiben, spürt ihn die Polizei sicher auf.«
»Er könnte Jules getötet haben.«
»Das glaube ich nicht«, sagt Louis.
»Hey!« zischt einer der Zuschauer. »Seid mal still!
Das hier ist Geschichte!«
Das Fernsehbild zeigt eine Astronauten-Gestalt am Fuß der
Rampe, umgeben von zerklüfteten roten Felsen. Das mit einem
Goldfilm überzogene Helmvisier reflektiert die eckige Form des
Landers und die beiden anderen Astronauten, die am oberen Ende der
Rampe stehen.
Der Sprecher ist mit seinem Kommentar fertig; das Rauschen der
Trägerwelle erfüllt die Klinik. Dann ergreift die
Astronauten-Gestalt das Wort. Es ist eine Frau, und ihre Stimme
klingt verblüffend klar über die Millionen Kilometer
brodelnder Leere zwischen den beiden Welten hinweg.
»Das hier ist der Beginn eines großen Abenteuers«,
sagt sie.
8 Der arme Ritter
Armand wandert mit dem kleinen Jungen durch Kaskaden weichen
Safranlichts, am Rande eines kristallenen Gewässers, das von
einem Ufer aus Perlen und Elfenbein gesäumt wird. Er fühlt
sich sehr gelöst, auch wenn in einem Winkel seiner Wahrnehmung
eine Stimme gellend schreit. Er führt den kleinen Jungen durch
das Feenland. Der Junge ist verwirrt, weil er noch nie hier war. Er
will wissen, wohin all der Beton verschwunden ist.
»Das hier ist echt«, sagt Armand. »Die andere Welt
war nur ein Traum. Es gibt viele Wirklichkeiten. Siehst du denn nie
fern?«
Der kleine Junge entgegnet, daß er natürlich fernsieht.
Seine besondere Vorliebe scheint einer Serie namens Hopalong Frog zu
gehören, und er breitet sie mit dem unermüdlichen,
unkritischen Fanatismus der Kinder vor Armand aus. Offenbar spielt
sie in einem Teich, der irgendwo im Wilden Westen liegt. Hopalong
Frog ist der Sheriff.
»Die Dinge erscheinen ganz echt, wenn man sie im Fernsehen
anschaut. Eigentlich noch besser als die echte Welt, bunter und
schöner. Aber du kannst nie in dieser Welt leben.«
»Wenn ich am Einschlafen bin, sehe ich Hopalong
Frog.«
»Das träumst du. Aber dieser Traum ist zugleich
Wirklichkeit. Hast du noch nie daran gedacht, daß die Leute im
Fernsehen auch dich beobachten könnten?«
»Klar beobachtet mich Hopalong Frog«, sagt der
kleine Junge mit seiner sturen Kinder-Logik. »Er redet nach
jeder Sendung mit mir.«
Armand ignoriert die Antwort. »In deinem Kopf ist jetzt eine
Art Schalter, wie die Taste auf der Fernbedienung, mit der du das
Gerät ein- und ausschalten kannst. Also, was du jetzt besitzt,
ist ganz ähnlich wie dieser Schalter. Damit kannst du die Dinge
so sehen, wie sie wirklich sind. Es ist ein großes Geschenk.
Die meisten Menschen kriegen nie im Leben die Gelegenheit, die wahre
Welt zu sehen.«
Armand hat ein seltsames Gefühl. Es ist, als würde
jemand durch ihn sprechen, ihm diese Gedanken eingeben. Die gellende
Stimme ist sehr weit weg, aber sehr beharrlich. Sie verstummt nicht,
weil sie weder nach Luft ringen muß noch heiser werden kann.
Sie schreit und schreit ohne Unterlaß.
»Wohnt Hopalong Frog hier?« will der kleine Junge
wissen. »Werden wir ihn sehen?«
»Vielleicht«, sagt Armand.
Dem kleinen Jungen geht es jetzt besser, das ist ganz deutlich zu
sehen. Er mußte von Armand und einem der Zwillinge festgehalten
werden, während der andere Zwilling ihm die lebende Kommunion
auf die Zunge legte. Aber sobald das Ding die Bindung hergestellt
hatte, gab ein Angehöriger des Kleinen Volkes dem Jungen eine
erste Soma-Kostprobe, und er beruhigte sich sofort. Er wurde
sehend.
Armand sagt: »Es ist eine riesige, seltsame Welt, voll von
seltsamen und wunderbaren Geschöpfen. Ich bin sicher, daß
Hopalong Frog hier wohnt, aber ich weiß nicht genau
wo.«
»Dann suche ich ihn!« Der kleine Junge läßt
Armands Hand los und rennt die Böschung aus lebendem Marmor
hinunter, bis an den Rand des Teiches. Eines der scheuen,
durchscheinenden Geschöpfe, das dort badet, flieht erschrocken
tiefer in das kristallene Wasser. Muster aus silbrigem Licht huschen
über den Teich, krümmen und brechen sich und gleißen
so hell, daß Armand wegschauen muß. Das ist das Problem
mit dem Feenland. Seine Schönheit geht so aufs Gemüt,
daß Menschen nicht ständig hier leben können. Nur die
Angehörigen des Feenvolks sind dazu imstande.
Armand kann den Jungen nicht mehr sehen – er hat sich im
Licht aufgelöst. Statt dessen kommen die Zwillinge auf ihn zu.
Ihre Schatten sind wie Tunnel, die in den
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