Feenland
anderen
klatschen mit, und dann singt Gisele Gabin ein paar schwermütige
Folkmelodien. Irgendwann hält ein Taxi vor der Tür, um
Morag abzuholen. Es ist fast Mitternacht, und einige haben das Lokal
bereits verlassen. Sie stolpert zum Ausgang, begleitet vom
Abschiedsgejohle ihrer Freunde.
Die Fahrerin, eine kompakte, kräftige Frau in einer
Lederjacke, hilft Morag beim Einsteigen. Morag hat jenes
Rauschstadium erreicht, in dem sie alle Geschehnisse mit
amüsierter Gleichgültigkeit beobachtet – so als sei
die Welt eine virtuelle Spielwiese. Sie fragt nicht, warum die
Taxilenkerin noch einen Fahrgast aufnimmt.
Es ist der dicke Mann. Im gleichen Moment, da Morag ihn erkennt,
wird ihr bewußt, daß sie nie ein Taxi bestellt hat. Der
Fremde hebt die Hand.
Ein eiskalter Sprühnebel hüllt ihr Gesicht ein.
Elektrizität knistert in ihrem Schädel. Sie ist schlagartig
nüchtern, kann aber ihre Bewegungen nicht mehr steuern und
stößt sich heftig den Ellbogen an, als sie auszusteigen
versucht. Die Tür ist verriegelt.
»Sie sind in Gefahr«, sagt der dicke Mann und zuckt
zurück, als Morag ihren Taser schwingt.
Aber Morag hält ihn verkehrt herum, und im nächsten
Moment umklammert die Taxifahrerin ihre Hand mit festem Griff.
»Sachte, Kleines«, sagt die Frau. »Wir wollen Sie
in Sicherheit bringen. Wenn wir die Absicht hätten, Sie
umzubringen, würden wir nicht mit Ihnen reden.«
Die Frau hat den Kopf bis auf einen schmalen, im Leoparden-Look
eingefärbten Längsstreifen kahlgeschoren. Von ihrem rechten
Ohr baumelt eine Schnur mit winzigen Totenköpfen.
»Jag ihr keine Angst ein, Kat!« sagt der Dicke.
»Achte lieber auf die Straße!«
»Ich weiß, wer Sie sind!« erklärt Morag.
»Aber ich sage kein Wort. Ich habe versprochen, kein Wort zu
sagen.«
»Mein Name ist Alex Sharkey. Ich komme nicht von der Presse,
Dr. Gray.«
»Ich bin keine Ärztin. Nur
Medizin-Assistentin.«
Die Taxifahrerin – wenn sie eine Taxifahrerin ist –
meint: »Sie wird nicht reden, Alex. Sie ist durch und durch
Ablehnung. Ich schlage vor, du wirfst sie raus und suchst nach einem
anderen Weg. Wir müssen jede Sekunde mit einem neuen Mord
rechnen – wie lange haben wir noch bis zum nächsten
Vollmond?«
»Wir wissen nicht genau, ob der Mondzyklus eine Rolle
spielt.«
»Bis jetzt war es immer so«, erklärt die Frau
energisch. Sie hat einen deutschen Akzent.
Ihre Blicke treffen sich im Rückspiegel. »Kat, was
wissen Sie über diese Dinge?« fragt Morag.
»Für Sie Katrina, mein Täubchen. Nur meine engsten
Freunde nennen mich Kat.«
»Bitte!« Der dicke Mann, der sich Alex Sharkey nennt,
hebt die Hand. »Wo soll ich anfangen? Ich habe zu wenig Zeit.
Ehrlich. Das gleiche gilt für Sie. Als Zeugin des Geschehens
befinden Sie sich in Lebensgefahr, das müssen Sie begreifen!
Wenn Sie uns genau berichten, was Sie sahen, können wir Ihnen
helfen. Darauf gebe ich Ihnen mein Wort!«
Katrina, die Frau, zündet sich eine Zigarette an.
»Erzähl ihr von den guten und den bösen Feen«,
sagt sie.
»Wie viele dieser Morde hat es gegeben?« fragt Morag.
»Sechs?«
»Sieben«, korrigiert der dicke Mann, der sich Alex
Sharkey nennt.
»Sieben. Ich vergaß den Fall, in den ich verwickelt
wurde. Und alles kleine Mädchen, nicht wahr? Mein Freund wurde
ebenfalls umgebracht. Und Sie wissen, wer dahintersteckt, und gehen
nicht zur Polizei?«
Alex beugt sich vor (er nimmt zwei Drittel der hinteren Sitzbank
ein, und Morag denkt an einen Berg, der ins Wanken gerät) und
sagt zu Katrina: »Fährst du bei einem Schnell-Restaurant
vorbei?«
»Nun erledige erst mal die Sache mit der Kleinen! Es ist
einfach zu riskant, wenn wir…«
»Keine Sorge, das schaffen wir! In der Nähe von Les
Halles gibt es mehrere Fastfood-Filialen. Du hältst den Mund und
fährst, Kat! Das war unser Deal.«
Katrina dreht sich um und sagt zu Morag: »Wenn der Typ was
von Deal sagt, glauben Sie ihm kein Wort!« Damit steigt sie aufs
Gas und fädelt das Taxi mit quietschenden Reifen in den Verkehr
ein.
Selbst zu dieser späten Stunde wimmelt es auf den Gehsteigen
der Rue Berger von Menschen. Die vertiefte Doppelkurve des Forums
strahlt von innen, erhellt durch Tausende von Lichtern und Spiegeln.
Katrina muß sich mit der Hupe einen Weg durch die Bummler,
Touristen, Prostituierten, Stricher, Taschendiebe, Dealer und Junkies
bahnen. Kids auf Motorrollern, mit irisierenden Bomberjacken, deren
Muster ständig wechseln, schlängeln sich geschickt durch
das Gewühl. Die Werber
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