Feenland
wo sie mit dem Loyalitäts-Virus der
Regierung infizierte Flüchtlinge betreute, waren die Schatten
von Papa Zumis Geheimpolizei allgegenwärtig, smarte junge
Männer mit Video-Brillen, gestärkten weißen Hemden
und schwarzen Anzügen. Bewaffnet mit Macheten und
Maschinenpistolen, machten sie Stichproben-Tests bei Männern,
Frauen und Kindern und exekutierten jeden, der ihren Parametern nicht
entsprach. Sie lebten nicht in den Camps, sondern kamen jeden Morgen
mit ihren Nobelschlitten aus dem Fünfsterne-Hotel in der
nahegelegenen Stadt herübergefahren. Die Lagerbetreuer
mußten tagtäglich mit den Typen verhandeln, und es verging
keine Woche, in der Morag nicht bedroht wurde. Bis zu jenem
schrecklichen Tag, da alles zu Ende ging, herrschte die Geheimpolizei
mit Willkür und extremer Gewalt.
Und davor, in der Zeit, als sie im Busch-Einsatz war, um Kinder
gegen die Flußblindheit zu behandeln, hatte ein
aufständischer Somali-Stammesfürst ihren Landrover gestoppt
und sie fünf Tage lang als Geisel festgehalten. Er besaß
Charme und ein Oxford-Diplom und behandelte sie nach außen hin
sehr zuvorkommend. Morag erhielt ein eigenes Zimmer in seinem
weitläufigen Kral, wurde gut verpflegt und hatte die Erlaubnis,
mit seinen Frauen zu sprechen. Und doch befand sie sich in einem
Zustand konstanter Todesangst.
Auf dem Gelände herrschte eine bedrückende
Atmosphäre, beinahe so, als sei die Luft komprimiert und
enthalte zu wenig Sauerstoff. Aus welchem Fenster sie auch schaute,
immer erblickte sie zwei bis drei Leute in zerlumpten
Kampfanzügen, mit Kalaschnikows made in Malaysia, schweren
Maschinengewehren, einschüssigen leichten Panzerabwehrwaffen.
Dazu kamen die nächtlichen Geräusche jenseits der
Umzäunung. Menschliche Schreie, schwach, aber unverkennbar, das
trockene, harte Peitschen vereinzelter Schüsse, ein
Lastwagenmotor, der eine halbe Stunde im Leerlauf dröhnte und
dann abrupt verstummte.
Als Morag nach einigem Kräftemessen und Tauziehen zwischen
hohen Politikern, von dem sie in ihrer Isolation überhaupt
nichts mitbekam, endlich freikam und sogar die Erlaubnis erhielt, den
Kral in ihrem eigenen Landrover zu verlassen, fuhr sie etwa zehn
Kilometer die holprige rote Staubstraße entlang, ehe sie so
heftig zu zittern begann, daß sie den Landrover um ein Haar
umgekippt hätte; ihre Zähne klapperten wie bei einem
Malariaschub, sie mußte sich übergeben und bekam einen
ruhrähnlichen Durchfall. Nach einer Morphium-Dosis schaffte sie
es bis zu einem von Regierungssoldaten bemannten Checkpoint und brach
dort zusammen.
Das war Angst. Das war Terror.
Das Taxi rumpelt eine steile Straße hinauf. Hinter kahlen
Bäumen zeichnen sich die Lichter von Mietshäusern scharf
gegen die kalte Nacht ab. Eine Brücke führt über einen
Schienenstrang, und dann mündet die Straße in einer
kopfsteingepflasterten Sackgasse, wo sich hinter Gittern und
verwahrlosten Gärten Häuser aus dem 19. Jahrhundert
erheben, fünf oder höchstens sechs Etagen hoch.
Es ist eine der kleinen Nischen von Alt-Paris, die der
großen Umstrukturierung im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts
entgingen und auch das neue Regime überlebten wie ins Exil
vertriebene Königinwitwen, die ihr Dasein in Wohnungen ohne
Warmwasser fristeten. Obwohl Morag in diesem Arrondissement lebt, hat
sie nur eine vage Vorstellung, wo sie sich im Moment befindet.
Katrina stellt den Motor des Taxis ab, macht das Licht aus, steigt
aus und öffnet die Tür für Morag, die ins Freie
klettert und die feuchtkalte Nachtluft einatmet. Eine Woge von
Übelkeit erfaßt jede Zelle ihres Körpers. Sie
fällt nach vorn auf die Knie und kotzt einen Schwall nach dem
anderen in die Regenrinne mitten auf der Straße.
Als sie endlich auf die Beine kommt, sich das Erbrochene vom Kinn
und die Kältetränen aus den Augen wischt, sperrt Alex
gerade ein hohes, schmiedeeisernes Tor auf. Katrina schiebt ihre
Schulter in Morags Achselhöhle und stützt sie beim Gehen.
Ihre Arme und ihr Oberkörper bestehen aus harten Muskelpaketen.
Sie strahlt Wärme und einen scharfen Geruch aus, eine Mischung
aus Zigarettenqualm und Räucherstäbchen.
Im Innern des Hauses, in einem Zimmer mit Holzdielen, deren
Knarren durch ausgefranste Orientteppiche gedämpft wird, nimmt
Morag auf einem Plastik-Klappstuhl Platz und trinkt schluckweise
erwärmten Orangensaft mit eingerührtem Zucker, während
Katrina mehrere Kerzen auf einem schweren Eichen-Sideboard
anzündet. Das buttergelbe Licht der
Weitere Kostenlose Bücher