Feentod
versuchte, sich abzulenken, einen Gedanken bekam sie seit Tagen nicht aus ihrem Kopf: Hätte es an dem schrecklichen Unglücksabend vielleicht eine
Chance gegeben, Faris vor seinem Absturz zu bewahren. Am meisten beschäftigte sie, ob sie vielleicht selbst etwas anders hätte machen können. Wenn sie Faris nicht weggeschickt, sondern ihm gestattet hätte, sie zu küssen. Was wäre dann gewesen? Vielleicht hätten sie sich noch stundenlang weitergeküsst? Vielleicht wäre Faris danach nicht den Weg an der Mauer langgegangen, wäre nicht jemandem in die Arme gelaufen, der ihn dort hinuntergestoÃen hat â¦
Was hätte, was würde,
was wäre, statt Antworten nur diese Leere.
Das Leben verstreicht im Augenblick,
es gibt kein Zurück, schau nicht zurück.
Vielleicht wär alles anders gekommen,
hätte ich dich in den Arm genommen.
Der nächste Schultag war ein Albtraum. Seitdem sich Alina und Noraya kannten, waren sie noch nie so zerstritten gewesen, dass sie sich auch in der Schule aus dem Weg gingen. Aber an diesem Montagmorgen war es so weit gekommen. Wortlos hatte sich Alina an Noraya vorbei in die Klasse geschmuggelt und an einen der freien Tische ganz nach vorne gesetzt. Natürlich fiel den anderen die ungewohnte Distanz zwischen den beiden Freundinnen sofort auf und sie wurden zum Lästerthema Nummer eins. Noraya versuchte, die Tuscheleien der anderen zu ignorieren und stattdessen Blickkontakt mit Alina herzustellen. Nachdem der erste Ãrger verraucht war, hätte sie gerne ein paar klärende Worte mit der Freundin gesprochen. Aber Alina tat so, als ob sie gar nicht existierte. Dieser leere kalte Blick, der wie ein scharfes Messer glatt an ihr vorbei die Luft durchschnitt, fühlte sich schrecklich an. So als ob Alina ihre Freundschaft lebendig begraben würde.
In der ersten groÃen Pause tippte sie in ihrer Verzweiflung eine SMS an die Freundin:
Bitte, Alina, hör damit auf. Ich ertrag das nicht. Rede oder streite mit mir. Aber lass mich bitte nicht so auflaufen. N.
Erst auf dem Heimweg kam eine Antwort. Noraya las sie fassungslos:
An so ein scheinheiliges Biest, wie du es bist, verschwende ich kein Wort mehr. DAS hätte ich dir niemals zugetraut. Deine Handynummer habe ich hiermit gelöscht. A.
Fassungslos las Noraya immer wieder die Zeilen und versuchte, Alina zu erreichen. Aber nicht einmal die Mailbox ging mehr dran. Das konnte Alina doch nicht ernst gemeint haben. Im Kopf ging Noraya noch einmal den Text durch, den sie der Freundin gestern hinterlassen hatte. Hatte der Alina so tief getroffen, dass sie ihr gleich die Freundschaft kündigte? Vor lauter Aufregung hätte Noraya beinahe die Haltestelle verpasst. In letzter Sekunde quetschte sie sich durch die Tür. Auf dem FuÃweg nach Hause versuchte Noraya, ihre Gedanken zu sammeln. Sie fühlte sich wie in einem Film. Gestern noch hatten Alina und sie miteinander gelacht. Und jetzt sollte das plötzlich nichts mehr wert sein? Aus und vorbei? Nein. Das musste ein furchtbarer Irrtum sein und sie war fest entschlossen, ihn aufzuklären.
»Hier stand doch so ein kleiner Engel!«, rief Noraya Richtung Küche, als sie wenige Minuten später im kleinen Flur ihre Schuhe auszog. Die kleine Figur stand nicht mehr auf dem Spiegelschrank.
»Was für ein Engel?«, kam prompt die Rückfrage ihrer Mutter aus dem Wohnzimmer.
»So ein kleiner aus Porzellan.«
»Nie gesehen. Vielleicht liegt er am Boden? Was müsst ihr auch immer alles herumstehen lassen!« Noraya suchte den Boden im Flur ab. Sogar unter dem Schuhschrank sah sie nach, aber auÃer ein paar Staubflusen und einem Wollsocken entdeckte sie nichts. Vielleicht hatte sich ihre Schwester das Ding gekrallt.
»Helia. Hast du dir aus der Diele diesen kleinen Porzellanengel genommen?« Ohne anzuklopfen, stürmte sie in das Zimmer ihrer kleinen Schwester.
»Welchen Engel? Ich hab nix genommen.«
»Wirklich nicht?«
»Wenn ich es doch sage. Ich bin auÃerdem nicht mehr so klein, dass ich mit Engeln spiele!«, entrüstete sich Helia und Noraya winkte ab.
»Was ist das überhaupt für ein Engel?«
»Ach, nur ein kleines Ding. Den habe ich gefunden. Ist nicht wichtig«, versuchte Noraya, die Neugier der Schwester zu zerstreuen. Sie wandte sich zum Gehen. Aber Helia war nicht so schnell abzuwimmeln.
»Ist das ein Talisman? Oder ein Geschenk von einem
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