Feentod
zunehmend ergriff sie tiefe Verzweiflung, wenn sie sich diesen Teil vor Augen führte. Ihr Vater war schuld, dass sie sich vor dem Schatten nicht nur fürchten, sondern auch daran, dass sie seine perversen Forderungen erfüllen musste.
»Aha. Das Fräulein Tochter gedenkt auch mal wieder, hier aufzukreuzen. Darf man erfahren, wo du dich den ganzen Nachmittag herumtreibst?«
Noraya antwortete nicht. Sie hatte es so satt, auf diese Weise angemacht zu werden. Ihre Wut wuchs noch stärker, als sie die verheulten Augen ihrer Mutter sah. Anscheinend steckten ihre Eltern mal wieder in einem ausgewachsenen Streit. Schnurstracks steuerte sie Richtung Treppe. Sie wollte nur noch in ihr Zimmer, doch ihr Vater hielt sie am Arm fest. So fest, dass es schmerzte.
»Du tust mir weh!«, fauchte sie ihn an und wand sich aus seinem Griff.
»Du wirst mir jetzt mal das hier erklären!« Norayas Vater hielt ihr den Ausdruck einer E-Mail unter die Nase.
»Woher soll Nora denn wissen, was dieser Quatsch soll?«, sprang ihre Mutter ihr sofort zu Hilfe. Noraya nahm das Blatt und las. Ihr wurde heiÃ.
Sehr geehrter Herr Al Ibi!
Mein Name ist Schatten und ich bin der Geschäftsführer der »Lustvoll-Bar« in Frankfurt am Main. Ich bin immer auf der Suche nach unverbrauchten jungen Talenten. Und da wurde mir Ihre Tochter wärmstens empfohlen. Könnten Sie bitte mit mir Kontakt aufnehmen für einen Termin, an dem sie bei uns vorsingt? Wegen des Jugendschutzes müssen Sie sich keine Gedanken machen. Wir haben da Mittel und Wege, ihn zu umgehen.
Mit vielen GrüÃen, Ihr D. Schatten
(Geschäftsführer der »Lustvoll-Bar«, Frankfurt am Main)
Noraya hatte Mühe, auf den Beinen zu bleiben, kurzzeitig wurde ihr ganz schwarz vor Augen. Ihr Herz raste und in ihrem Kopf dröhnten die Worte des Schattens. Ãngstlich klammerte sie sich an das Treppengeländer.
»Siehst du. Sie ist völlig geschockt. Wie kannst du deiner Tochter nur unterstellen, sie hätte damit etwas zu tun?« Frau Al Ibi nahm Noraya das Blatt aus der Hand und fuchtelte wütend damit vor der Nase ihres Mannes herum. »Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Noraya weiÃ, wer solche ekelhaften Mails an dich verschickt?«, wiederholte sie noch einmal und ihre Augen funkelten.
Oh Gott, dachte Noraya, jetzt bin ich auch noch daran schuld, dass meine Eltern sich bekriegen. Das musste endlich aufhören. In ihr tobten die Gefühle, aber äuÃerlich war sie zu keiner Reaktion fähig.
»Nora, Liebes, hab keine Angst. Das ist ein übler Scherz, den sich jemand auf deine Kosten erlaubt. Vielleicht sogar jemand, der sich an Papa rächen will. Das gibt es leider unter Geschäftspartnern. Nimm dir das bloà nicht zu Herzen.« Zärtlich legte sie ihrer Tochter einen Arm um die Schulter. »Und dein Vater wird sich bei dir entschuldigen!«, ergänzte sie mit harter Stimme. So hatte Noraya ihre Mutter noch nie erlebt.
»Ich denke ja gar nicht daran! Und ich kann mich nur wiederholen: Du wirst schon sehen, wohin das führt!« Wutschnaubend verlieà Norayas Vater die Küche. Sie hörte, wie er kurz im Wohnzimmer verharrte und sich die Schuhe anzog. Dann stürmte er an ihnen vorbei. Polternd fiel die Haustür ins Schloss. Dann war es still.
»Der kriegt sich schon wieder ein«, versuchte Mama, sie zu beruhigen. Aber es klang, als müsste sie sich selbst Mut zusprechen.
Noraya hatte keine Kraft mehr, sich um sie zu kümmern. Ihr war so übel, dass sie befürchtete, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Als dann auch noch eine sichtbar verstörte Helia den Raum betrat, hielt es Noraya nicht mehr aus. Sie flüchtete in ihr Zimmer und vergrub ihren Kopf im Kopfkissen.
Was sollte sie nur tun? Der Schatten hatte ihr unmissverständlich gezeigt, wie schnell er alles zerstören konnte. Sie fühlte sich so ohnmächtig und verletzbar. Egal was sie tun würde, der Schatten würde gewinnen. Er hatte sie in der Hand. Wenn sie nicht das tat, was er wollte, dann würde eben Papa ihr Leben zerstören. Und wenn sie den Schatten auffliegen lassen würde, würde sie Papas Zorn genauso treffen. Die einzige Alternative, die blieb, war auch keine: Sollte sie den Forderungen des Schattens weiter nachkommen? Aber wohin würde das noch führen? Am Ende verlangt er Dinge von mir, die ich niemals tun kann. Noraya schluchzte auf und vergrub ihren Kopf
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