Feentod
noch tiefer im Kissen. Am liebsten hätte sie sich in Luft aufgelöst.
Erst das Klingeln ihres Handys riss sie einige Zeit später aus ihrer Lethargie. Rief dieser Mistkerl sie jetzt schon an? Erleichtert erkannte Noraya Vales Nummer. Schnell putzte sie sich die Nase und nahm ab: »Hi Vale.«
»Hey du. Jetzt schieà mal los«, fiel er gleich mit der Tür ins Haus. »Da ist doch mehr passiert als nur das mit dem Luftballon, dem Foto und dem Engel, oder?«
Noraya zögerte kurz. »Okay, ich erzähle es dir. Aber vorher musst du mir etwas versprechen!«
»Und das wäre?«
»Dass du mit niemand anderem darüber redest, auch nicht mit Jared oder Mara, und dass du nichts unternimmst. Das wäre nämlich mein todsicheres Aus bei Engelhauch. Und überhaupt.« Sie atmetete schwer. »Dann werde ich mit Sicherheit den Rest meiner Jugend in Tunesien verbringen.«
»Aber Nora, es gibt bestimmt eine Lösung, wenn du dir helfen lässt!« Wie befürchtet, ging Vale nicht auf ihre Bedingung ein.
Aber Noraya blieb hart. »Ich bleibe dabei. Nur, wenn du mir das versprichst, werde ich dir alles erzählen.«
»Und Jared? Den könntest du doch einweihen.«
»Nee, Vale, den lass mal schön in Ruhe. Der hat genug eigene Probleme. Und auÃerdem hört Papa auf den genauso wenig wie auf Mama. Versprichst du es also?«
»Okay. Versprochen.«
Obwohl Noraya wusste, dass sie sich auf Vales Wort verlassen konnte, erzählte sie ihm trotzdem nicht alles. Die Geschichte mit dem Oberteil lieà sie weg. Es war nicht nur die Angst, Vale würde diese Sache so aufregen, dass er am Ende doch noch irgendeine Racheaktion durchzog. Sie schämte sich auch unendlich dafür, der Forderung des Erpressers nachgekommen zu sein. Sie hatte das perverse Spiel des Schattens mitgespielt â daran gab es kein Rütteln.
»Und du bist dir sicher, dass die E-Mail von demselben Typen kommt, der dir auch den Engel und das Foto geschickt hat?«
»Hundertprozentig ist die von ihm. Er unterschreibt mit D. Schatten. Soll also heiÃen: Dein Schatten!«
»Das ist wirklich heftig, Nora. Ich sage es noch einmal. Du musst dich an die Polizei wenden.«
»Und ich sage es nicht noch einmal!« Noraya war laut geworden. »DAS GEHT NICHT! DANN IST ALLES VORBEI!«
»Aber was willst du dann tun? Immer weiter abwarten, was dem noch einfällt?« Vale klang immer verzweifelter. Die Sorge in seiner Stimme tat Noraya gut. Andererseits schürte sie auch ihre Angst. Offensichtlich nahm auch der die Bedrohung sehr ernst.
»Nora. Du musst wenigstens mit deiner Mutter darüber reden. Versprich mir das. Und wenn wieder etwas kommt, dann bitte erzähl es mir sofort. Kannst immer anrufen. Tag und Nacht!«
»Danke, Vale«, sagte Noraya leise und sie musste schlucken. Bevor sie wieder losheulen musste, beendete sie das Telefonat.
21.
D ie Bühne schwankt unter ihren FüÃen. Sie muss sich hinknien, um nicht der Länge nach hinzufallen. Unter ihr ist wildes Getöse. Vorsichtig blickt sie über den Rand der Bühne und erstarrt: Ãberall an dem Aufbau krallen sich Zuschauer fest, rütteln daran. »Ausziehen! Ausziehen!«, rufen sie. Ein greller Scheinwerfer ist auf sie gerichtet â der Rest der Halle ist stockdunkel. Die schreienden Münder mit blitzenden Zähnen und feuchten Zungen sehen aus wie räuberische Fische in einem tiefschwarzen Ozean. Nur mit Mühe kann sie sich auf allen vieren halten. Sie presst die flachen Hände gegen den Bühnenboden. Doch sie weiÃ: Wenn der Boden sich noch mehr neigt, wird sie in den Tiefen der schreienden Masse untergehen, von ihr verschlungen werden. Plötzlich spürt sie unter ihren Händen eine Bewegung. Einen groÃen Riss! Die Bühne bricht auseinander. Sie schreit. Um sie herum wird es stockfinster.
Norayas Atem ging schnell, ihr Schlaf-T-Shirt klebte nass an ihrem Körper. Irgendwie fühlte sie sich unvollständig. Als ob ein Teil von ihr noch in ihrem Albtraum feststeckte und nun den Massen schutzlos ausgeliefert war. Und schlimmer noch: Sie konnte das Szenario auch mit geöffneten Augen weiter erleben. Zitternd tastete sie nach dem Lichtschalter. Es war mitten in der Nacht.
»Wo ist Papa?« Helia saà am Küchentisch und schaute ihre Mutter ängstlich an.
»In seinem Arbeitszimmer«, kam die knappe Antwort.
»Warum schläft er
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