Feentod
jetzt immer dort?«
»Vielleicht schnarcht er momentan so laut«, mischte sich Noraya helfend ein. Helia schüttelte missmutig den Kopf, gab aber für den Moment Ruhe.
Was hätte Noraya darum gegeben, endlich einmal unter vier Augen mit ihrer Mutter zu sprechen. Seit Tagen wartete sie auf eine Gelegenheit, aber Mama war irgendwie immer beschäftigt oder unterwegs. Dabei musste sie ihr doch so dringend ihre Befürchtung mitteilen. Nicht, dass Papa schon längst drei Flugtickets nach Tunesien besorgt hatte und Mama vor lauter Frust über den Streit nichts davon mitbekam.
»Heute müsst ihr euch wieder selbst versorgen. Ich bin noch mal bei Anja«, kündigte Mama an.
Es würde also wieder nichts werden, dachte Noraya enttäuscht. Als Helia aber verkündete, dass auch sie direkt nach der Schule mit zu einer Freundin gehen würde, fasste Noraya einen Entschluss: Sie würde die Sache selbst in die Hand nehmen. Gleich wenn sie nach Hause kam, wollte sie Papas Schreibtisch inspizieren.
Nach Schulende beeilte sich Noraya, nach Hause und in Papas Arbeitszimmer zu kommen. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in den Sachen ihres Vaters zu wühlen. Normalerweise traute sie sich nicht einmal, ohne zu fragen, einen Stift aus seinem Sammelsurium zu nehmen. Aber die Angst davor, was er hinter ihrem Rücken plante, trieb sie an.
»Schneller, du lahme Gurke«, zischte sie Papas Rechner entgegen, der gerade hochfuhr. In den Unterlagen auf und im Schreibtisch war nichts Verdächtiges zu finden gewesen. Um auf Nummer sicher zu gehen, wollte Noraya noch seinen Mailverkehr checken â am Ende führte ihr Vater regen Austausch mit einem Internat in Tunesien! Aber auch dort fand sie nichts. Auch der Browserverlauf war absolut unverdächtig. Noraya schaltete den PC aus und wartete darauf, dass sich Erleichterung bei ihr einstellte. Aber vergeblich. Stattdessen fühlte sie sich miserabel. Sie hatte genau das getan, wofür sie ihren Vater verachtete â ihm nachgeschnüffelt und versucht, ihn zu kontrollieren. Als sie sich im Bad die Hände wusch, blickten sie im Spiegel zwei fremde Augen an.
Nicht nur wegen ihrer geheimen Recherchen hielt das Gefühl des Selbstekels auch am Nachmittag an, als Noraya sich mit Staff vor dem Krankenhaus traf.
»Ist was passiert?«, fragte Staff sofort, als sie seinem BegrüÃungskuss auswich. Besorgt sah er sie an und griff nach ihrer Hand. »Habe ich was verkehrt gemacht?« Noraya schüttelte nur den Kopf. Sie war nicht in der Lage, etwas zu sagen. Ehe sie sich versah, füllten sich ihre Augen mit Tränen. Sie versuchte, sie zurückzudrängen, doch je mehr sie dagegen ankämpfte, umso stärker drängten sie aus ihr heraus. Ihr ganzer Körper bebte. Erschrocken lieà Staff ihre Hand los, als Noraya beide Hände vors Gesicht schlug und laut aufschluchzte. Staff nahm sie wortlos in die Arme, ganz fest, und hielt sie. Sie konnte ihre Hände gar nicht vom Gesicht nehmen, so sehr schämte sie sich.
»Was hast du nur, mein Engel«, flüsterte Staff ihr leise ins Ohr und strich ihr sanft über das Haar.
Nach einer gefühlten Ewigkeit nahm Noraya langsam die Hände vom Gesicht. »Es ist ⦠Ich fühle mich so furchtbar«, schniefte sie. »So unendlich beschmutzt. Es widert mich an, dass ich ich bin.«
»Hey, wie kommst du denn auf so einen Unsinn?« Staff schaute sie eindringlich an und sie hielt seinem Blick stand, obwohl sie am liebsten wieder die Hände vor ihr Gesicht geschlagen hätte.
»Ich halte das nicht mehr aus. Es ist so schrecklich.«
»Was ist denn los? Ist es etwa wegen Faris?« Staffs Stimme klang rau und irgendwie ungehalten.
»Nein. Faris hat damit gar nichts zu tun. Es geht um mein Leben. Einfach um alles.« Noraya spürte die neugierigen Blicke der anderen Besucher in ihrem Nacken. Wahrscheinlich denken die, ich weine um einen der Patienten im Krankenhaus. Schon wieder eine Täuschung, bei der sie sich schlecht fühlte.
»Lass uns woandershin gehen«, schlug Staff vor und zog sie sanft mit sich in Richtung des angrenzenden Krankenhaus-Parks. Dort setzten sie sich auf eine Bank. Staff streichelte stumm ihre Hand und wartete, bis sie bereit war zu erzählen.
»Es ist so, dass ich schon seit längerer Zeit verfolgt werde«, begann sie schlieÃlich stockend. »Und vorhin kam schon wieder eine Drohung. Per Telefon. Eine
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