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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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zurückgab.
    Er atmete erleichtert auf, als er endlich die Wohnungstür aufschloss.
Hein war ein lieber Kerl, aber manchmal etwas anstrengend.
    Der Anrufbeantworter auf der Jugendstilkommode im Flur zeigte fünf
Gespräche an. Missmutig drückte Chris den Wiedergabeknopf und rückte
automatisch den ewig rutschenden Läufer auf dem Boden zurecht. Wie von
Geisterhand kroch er alle paar Tage an der Wand zum Wohnzimmer hoch.
    Als erstes hörte er die Stimme von Anne. Wo er denn nun schon wieder
stecke, ob er über gestern Abend reden wolle, bitte ein Lebenszeichen und so
weiter. Seine Befürchtungen bestätigten sich: Zwei weitere Anrufe waren ebenfalls
von ihr, die zunehmend gereizt um Rückruf bat.
    Nach dem vierten „Piep“ erscholl die Stimme seiner Mutter. „Hallo
Kind! Ich muss dir was erzählen!“
    Entnervt drückte er die Stopptaste und lehnte sich an die Wand. Dieses
„muss“ konnte nur eins bedeuten — sie hatte mal wieder einen Neuen.
    „Gott steh mir bei“, murmelte er. Er liebte seine Mutter, wirklich.
Sie hatte das Herz auf dem rechten Fleck, und je nach seiner Gemütslage, die
sie mit ihrem mütterlichen Urinstinkt sofort erfasste, gab sie ihm mehr oder
weniger hilfreiche Ratschläge. Gleichzeitig gelang es ihr aber auch, ihren Sohn
als eigenständigen Menschen zu akzeptieren. Könnte doch auch er seine Mutter so
nehmen, wie sie war — nein, wie sie sich in den letzten Jahren entwickelt
hatte.
    Angefangen hatte es kurz nach dem Tod seines Vaters vor acht Jahren.
Er war morgens einfach nicht mehr wach geworden. Und was niemand auch nur im
Traun vermutet hätte — der kleine städtische Beamte Herrmann Sprenger
hinterließ ein stattliches Vermögen. Mehrere, durch risikoreiche Kapitalanlagen
gut gefüllte Konten.
    Etwa ein halbes Jahr nach der Beisetzung verkündete Luise Sprenger —
bis dahin immer nur Hausfrau, und jetzt trauernde, aber wohlhabende Witwe —
ihrem Sohn, sie würde für ein paar Tage eine Schönheitsfarm auf Mallorca
besuchen. Warum es unbedingt Mallorca sein musste, begriff Chris erst zwei
Wochen später: Seine Mutter hatte sich den Hals straffen lassen! Und spanische
Schönheitschirurgen waren ungleich billiger als deutsche.
    Ungefähr drei Monate danach kamen Wangen und Augen an die Reihe. Und
dann, dann war Luise auf Männerjagd gegangen. Über einschlägige Annoncen, in
der U-Bahn, im Supermarkt, auf der Straße, im Hausflur. Oder sie ging im
hautengen Lederkostüm zu den Tanztees im Café Bauer und verdrehte dort den mehr
oder weniger alleinstehenden Herren den Kopf. Dabei machte sie sich regelmäßig
fünf bis zehn Jahre jünger, als sie in Wirklichkeit war. Aber das bereitete
Chris keine Sorgen. Luise war rank und schlank, und ihre Liftings waren gut
gemacht. Wenn sie meinte, sie müsse mit „fünfundfünfzig“ prahlen, statt
zerknirscht „fünfundsechzig“ zuzugeben — bitte. Was ihm aber manchmal den
Schlaf raubte, war das seltsame „Pech“, von dem seine Mutter nun schon seit
Jahren verfolgt wurde: Die erste ernstzunehmende Männerbekanntschaft war bei
Luise eingezogen und schaffte es etwa ein halbes Jahr, dann erlag er einem
Herzinfarkt. Nach einer angemessenen Trauerzeit zog der zweite bei ihr ein. Das
junge Glück währte knappe zwölf Monate, und den Geliebten traf der Schlag. Er
vegetierte noch drei Wochen im Krankenhaus vor sich hin und schied dann aus dem
Leben. Der dritte schließlich brach während des Liebesakts über Luise zusammen.
Herzversagen stand auf dem Totenschein.
    Alle drei waren in gesetzterem Alter und recht betucht gewesen. Und ob
Luise in den jeweiligen Testamenten bedacht worden war, verriet sie nicht
einmal ihrem Sohn.
    Bisher hatte sich Chris jeden ernsthaften Gedanken über diese seltsame
Häufung von Todesfällen verboten. Schließlich war Luise kein männermordender
Vamp, sondern seine Mutter. Dieses „muss“ aber besagte mit Sicherheit, dass sie
einen neuen Liebhaber hatte. Unwillkürlich berechnete Chris, wie lange der es
wohl überleben würde.
    „Mein Gott, der vierte“, sagte er leise. Wenn man seinen Vater dazurechnete,
waren es sogar schon fünf. Entschlossen drückte er noch einmal auf den
Wiedergabeknopf.
    Die letzte Nachricht auf dem Band hob seine Laune ein wenig: Lea
verkündete, sie sei heute Abend im „Mainzer Hof“, und wenn er Lust auf ein Bier
hätte, sollte er doch vorbeikommen.
    Wieso Lea das so großartig verkündete, war Chris allerdings
schleierhaft. An den Wochenenden gehörte sie in dieser Kneipe

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