Fehlschuss
wieder aufs Neue. Am auffallendsten war allerdings der
plüschige Ohrensessel, in dem er sich mühelos Gertrude Stein vorstellen konnte.
Dahinter lehnte Alice B. Toklas und zu ihren Füßen saß Ernest Hemingway … „Eine
Rose ist eine Rose … ist eine Rose … ist eine Rose …“
Theo, ein begnadeter Koch und sozusagen der gute Geist des Hauses,
stürzte aus der Küche und strahlte Chris an. „Hab ich doch richtig gehört“,
krähte er. „Mein kleiner Anwalt!“
Dass sein kleiner Anwalt einen Kopf größer war als er und sich nun
hinunterbeugen musste, um ihn einigermaßen unbeholfen zu umarmen, störte ihn
nicht weiter. Schon zu Beginn ihrer Freundschaft hatte er Chris so genannt.
Wie immer trug Theo ein schrill-buntes Hawaii-Hemd und Jeans. Und da
er seine Hemden grundsätzlich über der Hose trug, wirkte er noch kleiner, als
er sowieso schon war. Er war nicht nur eine Art Mädchen für alles, sondern
wahrscheinlich auch der Liebhaber von Tinni. Obwohl Chris sich ernsthaft
fragte, wie dieses kurze, dünne Männlein und Tinni … Aber na, das war wieder
eine ganz andere Geschichte. Wie dem auch sei — Theo war zumindest der Mann in
Tinnis Leben, der ihr grenzenloses Vertrauen genoss.
Es dauerte nicht lange, und er servierte den ersten Gang eines
raffinierten Menüs.
„Wie läuft´s in der Kanzlei?“, fragte Tinni, während sie mit püriertem
Lachs gefüllte Avocados in sich hineinschaufelte.
„Oh, ganz gut“, antwortete Chris und kaute genüsslich. Die Avocados
waren ein Gedicht. „Ich bin jedenfalls zufrieden.“
„Zufrieden, zufrieden! Du machst dich kaputt! Reibst dich auf! Nimm
dir endlich mal Zeit für dich selbst!“ Tinnis Löffel schwebte einen Moment lang
über den Avocado-Hälften. „Mal im Ernst, Chris — du warst schon mal frischer,
nicht?“
„Ich hatte eine schlimme Woche“, verteidigte er sich schwach und
erntete nur ein unwilliges Grunzen.
Bei Seeteufelfilet mit neuen Kartoffeln und Blattspinat versorgte
Tinni ihn mit Klatsch aus der Szene. Wer mit wem, oder auch nicht; der neue
Wirt im „Casablanca“ hatte im Eifer des Gefechts seinem eigenen Türsteher ein
Veilchen verpasst; der neue Sado-Maso-Club um die Ecke lief offenbar gut, und im
„St. Pauli“ hatte es mal wieder eine Razzia gegeben.
Chris war kurz vorm Platzen, als Theo auch noch Kiwis auf Vanilleeis
servierte. Tinnis Gewicht hatte seinen Grund — ohne Zweifel!
Aus der Bar klang schrilles Lachen herüber, und Marianne Rosenberg stellte
ein für alle Mal klar: „Er gehört zu mir“. Das Lied war ein verabredetes
Zeichen zwischen dem Barkeeper und Tinni: Der Laden füllte sich und bald würden
sich Helma und die anderen Frauen nicht mehr langweilen. Über das Gesicht der
„Venus von Kilo“ zog ein zufriedenes Lächeln.
Während Theo abräumte, sagte sie wie beiläufig: „Bei der Sitte ist
übrigens ein Neuer“, und nestelte an den Rüschen ihrer Seidenbluse herum. Das
Vergnügen war beendet. „Du weißt ja — neue Besen kehren gut. Aber irgendjemand
sollte ihm mal sagen, dass hier alles sauber ist. Sie machen dauernd
Kontrollen. Das ist schlecht fürs Geschäft.“
Sie lehnte sich gemütlich zurück, paffte Zigarettenrauch über den
Tisch und sah Chris erwartungsvoll an. Woran sie erkannte, wann er einen
Freundschaftsbesuch machte und wann er „geschäftlich“ kam, war ihm ein Rätsel.
Aber sie hatte noch nie danebengelegen.
Beinahe geräuschlos servierte Theo zwei Tassen dampfenden Espresso und
verdrückte sich nach nebenan, um sich dem Abwasch zu widmen.
„Ich hab hier ein paar Namen“, begann Chris ohne Umschweife und legte
den Zettel mit den Adressen aus Inges Notizbuch auf den Tisch. „Ich würde gern
wissen, was es über diese Leute zu sagen gibt. Zum zweiten brauche ich alles,
was du über eine Ingeborg Lautmann in Erfahrung bringen kannst.“
Tinni rührte lange in ihrem Espresso — viel zu lange für sein Gefühl.
Ihre kleinen Schweinsäuglein hatten sich zu winzigen Ritzen zusammengezogen.
„Damit wir uns richtig verstehen“, sagte sie nach einer Weile. „Du
sagtest Ingeborg Lautmann, ja?“
„Ja! … Ich meine … was …?“
„Du hast also keine Ahnung!“, schloss sie aus seinem Gestammel und
setzte bedächtig hinzu: „Ich weiß ja nicht, wozu du das brauchst, aber dir
sollte klar sein, dass du damit ziemlich auf die Nase fallen kannst.“
„Oh — ich bitte dich!“
„Chris! Seit drei oder vier Wochen macht Brigitte Tönnessen einen
Riesenaufstand, weil ihre Tussi
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