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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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klar im Kopf!“
     
    Am Sonntagmorgen räkelte er sich lange in der Badewanne, baute
Schaumburgen und Pyramiden auf seiner Handfläche und sah zu, wie sie knisternd
an Volumen verloren.
    Heute wollte er endlich den Tag so verbringen, wie er sich das
eigentlich schon für gestern vorgenommen hatte: wenig arbeiten, viel lesen und
noch mehr Musik hören. Und alle Annes und Ingeborgs dieser Welt hatten weder in
seinem Kopf, noch in seinem Herzen etwas zu suchen. Da waren diese
faszinierenden blaugrauen Augen schon besser.
    „Sie interessieren mich einfach!“ — Himmel, wann war er das letzte Mal
so puterrot geworden? Diese kräftigen Hände, die wahrscheinlich sehr zärtlich
sein konnten. Konnten sie sich auch zur Faust ballen und einen Menschen
totprügeln? Foltern? Zigaretten auf der bloßen Haut ausdrücken?
    „Scheiße!“ Mit einem Satz sprang Chris aus dem Wasser und rubbelte
sich trocken. Zum Teufel mit der ganzen Geschichte! Auch Karin hatte in seinem
Kopf nichts zu suchen!
    Zwei Minuten später ertappte er sich dabei, wie er vor den
Spiegeltüren seines Kleiderschranks stand und kritisch die dunkelblonde Wolle
auf seiner Brust und den dichten Flaum auf seinen Armen betrachtete. „Behaart
wie ein Affe“, grummelte er. Ansonsten fand er sich ja ganz in Ordnung. Er
hatte weder Bauch noch Geheimratsecken, und die kleinen Fältchen um die Augen
gehörten mit Mitte dreißig einfach dazu. Nur mit seinem Bewuchs und seinem
immens sprießenden Bart haderte er immer wieder. Ob Karin auf solche Typen
stand?
    Verwirrt brach er diese kritische Musterung ab, schlüpfte in
ausgebeulte Jogginghosen und legte sich zurecht, was er am Abend anziehen
wollte. Einen Augenblick dachte er daran, boshaft zu sein und Anne mit seiner
ältesten Jeans zu schockieren. Dann aber entschied er sich doch für dunkle
Tuchhosen und weißes Hemd. Zu einer Krawatte konnte er sich allerdings nicht durchringen.
    Die Sonne strahlte verheißungsvoll, und auf seinem windgeschützten
Balkon war es mollig warm. Aber bevor sich Chris mit seinem Laptop und einigen
Akten, die er dringend durchsehen musste, nach draußen setzte, suchte er seinen
Lieblingskugelschreiber. Ein sündhaft teures Schreibgerät, das Luise ihm zur
Eröffnung der „Kanzlei“ geschenkt hatte. Ohne den konnte er unmöglich arbeiten!
Er suchte die ganze Wohnung ab, sogar das kleine Arbeitszimmer, in das er sich
selten verirrte. Es war ein völlig schmuckloser Raum, in dem es außer einem
Schreibtisch und Regalen voller Fachbücher nichts gab, und Chris fühlte sich
wohler an seinem Küchentisch oder auf dem Balkon.
    Er fand den Kuli schließlich auf dem Spülkasten des Klosetts. Stimmt,
er hatte während der letzten „Sitzung“ das Kreuzworträtsel in der
Fernsehzeitung gelöst. Erleichtert schnappte er sich Kugelschreiber und
Unterlagen und ging nach draußen.
    Aus der Häuserzeile gegenüber plärrte ein Radio, und irgendwo übte
jemand Trompete — wie jeden Sonntag. Chris hielt sein Gesicht einen Moment in
die Sonne und sah auf den „begrünten Innenhof“. So jedenfalls hatte sich der
Makler ausgedrückt, als er die Wohnung vermittelte. Das Grün bestand aus einem
Wiesenquadrat und drei kümmerlichen Büschen, die im Juli gelb blühten.
    „Immerhin“, murmelte Chris und zog den Laptop heran. Er hatte die
besten Vorsätze. Wirklich. Aber seine Gedanken schweiften immer wieder ab,
wanderten ziellos umher, nagten hier und pickten dort, um schließlich bei den
Kieselaugen zu landen. Ein auffliegender Vogel führte ihn weit weg von
Strafprozessordnungen und Schadensersatzforderungen. Ein welkes Blatt, das über
den Balkonboden raschelte, zog seinen Blick magisch an. Dickbauchige Hummeln,
die auf dem Geländer eine Pause einlegten, wirkten beinahe hypnotisierend.
    Nach einer Stunde gab er auf, packte missgelaunt alles zusammen und
verzog sich nach drinnen.
    Vielleicht sollte er anrufen. Doch ihm fiel absolut kein vernünftiger
Grund ein. Und sie einfach fragen, wie es ihr ging — nein, völlig ausgeschlossen!
Ihr sagen, wie sehr er fasziniert war von ihrer geradlinigen Art, dieser
heiteren Gelassenheit? Dass er am hellerlichten Tag von Kieselaugen träumte? —
Karin würde sich halb totlachen!
    Also kein Anruf!
    Vielleicht half ja Staubwischen gegen dieses seltsame Kribbeln in der
Magengrube. Oder die Badezimmerarmaturen auf Hochglanz bringen. Bitter nötig
war eine Putzorgie allemal. Chris wienerte und schrubbte, wusch sogar die
hässlichen, grün gesprenkelten Kacheln im

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