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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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sozusagen zum
lebenden Inventar. Er konnte sich kaum daran erinnern, sie freitags oder
samstags jemals woanders angetroffen zu haben. Und immerhin kannten sie sich
seit seiner Abifete. Damals hätte er gern was mit ihr angefangen, aber Lea
hatte ihn eiskalt abblitzen lassen, weil sie auf hünenhafte Typen stand, die
drei Mal die Woche in die Muckibude gingen. Trotzdem, oder gerade deshalb, war
eine tiefe Freundschaft entstanden, die über so manche Krise getragen hatte.
Die letzte Krise war Anne gewesen.
    Chris verspürte weder Lust, im „Mainzer Hof“ abzuhängen, noch den
Bitten von Anne um Rückruf nachzukommen. Schon gar nicht wollte er Luise
zuhören, die voller Euphorie erzählen würde, wie blendend ihre neue Liebe
aussähe und wie ausdauernd er im Bett war. Letzteres musste Chris nun wirklich
nicht wissen, aber er würde weder seiner Mutter noch Anne entgehen können.
    Seufzend nahm er das Telefon mit ins Wohnzimmer und holte sich aus der
Küche ein Bier. „Grete, die Fischfrau“ lachte ihn an. Er prostete ihr zu und
lachte zurück.
    Dann streckte er sich auf der Couch aus und wählte Annes Nummer im
Krankenhaus, hatte die unsinnige Hoffnung, sie könnte gerade mit einem Notfall
beschäftigt sein und keine Zeit für ihn haben. Natürlich war sie gleich am
Apparat, und er hörte sich minutenlange Tiraden darüber an, warum er sein Handy
nie dabeihatte, wo er gewesen sei, und dass er bloß die kleine Feier morgen
nicht vergessen sollte. Chris hörte kaum zu, musste sich beherrschen, nicht
aufzulegen. Er konnte diese Sätze, die so oft mit „Du musst“ und „Du sollst“
anfingen, einfach nicht mehr ertragen.
    Plötzlich aber war er hellwach. Anne sagte nämlich fast beiläufig:
„Ich weiß ja nicht, ob das wichtig ist. Auf jeden Fall hat hier heute früh
gegen fünf ein Typ angerufen und sich nach dieser Lautmann erkundigt. Er hat
gesagt, er wäre ihr Bruder. Hildchen war am Apparat, und als sie ihm
beigebracht hat, dass seine Schwester tot ist, hat er einfach aufgelegt. Was
sagst du jetzt?“
    Erst einmal sagte er nicht viel. Dafür aber verknüpfte er in
Sekundenbruchteilen diese neue Information mit dem wenigen, was er bisher
wusste. Was bedeutete dieser Anruf? Hatten ihre Peiniger nicht das aus ihr
herausgepresst, was sie sich erhofften und wollten sie im Krankenhaus
überfallen? Oder wollten sie sich einfach vergewissern, dass Inge Lautmann
nicht mehr reden konnte?
    Und was war mit Anne? Sie wusste doch wahrscheinlich schon seit
Stunden, dass der Täter angerufen hatte. Und das erwähnte sie erst, nachdem sie
ihm die Ohren vollgeheult hatte, und dann so beiläufig, als würde sie über den
letzten Kaffeeklatsch reden. War sie wirklich so gefühlskalt?
    Als er aufgelegt hatte, blieb er lange still sitzen. Zum ersten Mal
sah er ganz deutlich vor sich, wie das Verhältnis zu Anne enden würde. Wenn
zwei Menschen sich in so unterschiedliche Richtungen entwickelten, blieb
irgendwann nichts mehr übrig. Zunächst würden sie sich nicht mehr so häufig
sehen, dann nur noch zu Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten, bis
schließlich der Kontakt völlig abbrach. Eine absolut normale und logische
Entwicklung, die sich im Laufe eines Lebens häufig vollzog. Wieso zwickte dieser
Gedanke dann irgendwo tief drin? Es tat nicht wirklich weh, war mehr ein kurzes
Stechen.
    Er wischte den Gedanken beiseite und versuchte, sich auf das
Wesentliche zu konzentrieren: Inges „Bruder“. Das musste Susanne unbedingt
erfahren. Aber ihre Leitung war besetzt. Also rief er zunächst seine Mutter an
— dann hatte er das wenigstens hinter sich. Die erzählte ihm tatsächlich von
„Hans-Dieter“, der nächsten Monat bei ihr einziehen würde, und der größte
Schatz aller Zeiten war, wie Luise voller Enthusiasmus erklärte. Chris hoffte
nur, der Schatz würde überleben, und legte entnervt auf.
    Als er Susanne endlich am Hörer hatte, gab er ihr erst einen Bericht
darüber, was er über Brigitte Tönnessen erfahren hatte, und versprach, die Spur
weiter zu verfolgen. Spätestens jetzt hätte er Karin erwähnen müssen, aber
wieder sagte er kein Wort.
    Den Anruf von dem angeblichen Bruder bewahrte er sich bis zum Schluss
auf. Die Kommissarin war genauso elektrisiert wie er selbst.
    „Was denn? Bruder?“, rief sie. „Bruder! Das war einer unserer
Freunde!“
    „Die Wette würdest du gewinnen!“
    „Meinst du, wir kriegen von der Nonne eine vernünftige Aussage?“
    „Hundert Pro! Schwester Hilde ist zwar alt, aber völlig

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