Fehlschuss
worden, die Parkbuchten auf der einen Seite komplett einem Radweg
zum Opfer gefallen, und auf der anderen Seite gab es große Ladezonen, die jetzt
stabile Poller versperrten. Obwohl es Sonntag war, hatte Hellwein einige Mühe,
einen halbwegs legalen Parkplatz zu finden.
Ihr Klingeln hatte Tönnessen offenbar aus dem Tiefschlaf geholt.
Verquollene Augen in einem zerknautschten Puppengesicht, das blond gefärbte
Haar zerzaust. Den edlen seidenen Morgenrock hielt sie notdürftig über dem
Busen zusammen.
Trotz des teuren Überwurfs wirkte sie auf Susanne ganz und gar nicht
so, als würde sie eine exklusive Vermittlungsagentur leiten. Sie warf Hellwein
einen schnellen Seitenblick zu und konnte sein Schulterzucken nur ahnen.
So verschlafen Tönnessen auch wirkte, so hellwach wurde sie in
Bruchteilen von Sekunden. Sie musterte die beiden von oben bis unten und sagte
dann nur: „Ah, Bullen!“
Rote Flecken an ihrem Hals zeigten plötzlich ihre Nervosität. „Muss ja
wohl sein“, murmelte sie und schlurfte durch einen langen Flur davon, dicht
gefolgt von Susanne und Hellwein.
„Ich bin ganz und gar nicht nüchtern“, verkündete Tönnessen, als sie
sich schließlich in einem abgedunkelten Zimmer auf einen Stuhl fallen ließ.
Nur schemenhaft waren Polstermöbel und ein Esstisch zu erkennen. Die
Luft roch abgestanden, nach Bier und Schnaps.
„Ganz und gar nicht!“, sagte sie noch einmal mit Nachdruck.
„Brigitte Tönnessen?“, vergewisserte sich Susanne kühl.
„Ja, ja, ja doch! Und ihr kommt wegen Inge, und Inge ist tot. Das ist
es doch, oder?“
„Woher wissen Sie, dass sie tot ist?“ Susanne war mit einem Mal sehr
aufmerksam. Erst in den lokalen Zeitungsausgaben von Montag würde der Todesfall
bekannt gegeben. Offiziell konnte Tönnessen also noch nicht wissen, dass ihre
Geliebte tot war.
„Hab meine Leute“, lallte sie.
Ein einziger Blick zwischen den beiden Polizisten genügte, um Hellwein
in Bewegung zu setzen. „Na, ich koch erst mal Kaffee. — Wo ist die Küche?“
„Da, du Schleimer!“ Tönnessen deutete unbestimmt hinter sich.
Drei Tassen Kaffee später, dem grellen Sonnenlicht und frischer Luft
ausgesetzt — Susanne hatte mit einem Ruck Vorhänge und Fenster geöffnet —, war
sie wenigstens so weit, dass sie halbwegs vernünftige Antworten geben konnte.
Demnach war es mit Inge „um den 20. April herum“ zu einer heftigen
Auseinandersetzung gekommen, ausgelöst durch ihr Geständnis, schwanger zu sein.
Daraufhin hatte Inge Lautmann ihre Koffer gepackt und war verschwunden. — Und
blieb wie vom Erdboden verschluckt!
„Ich kenne viele Leute, glauben Sie mir“, versicherte Tönnessen. „Ich
hab überall nach ihr gefragt. Aber dieses verdammte Flittchen hatte sich gut
versteckt.“
„Wen haben Sie denn alles gefragt?“, schaltete Hellwein sich ein. Er
lehnte lässig am Fensterbrett und betrachtete eingehend seine blanken
schwarzbraunen Slipper.
Aber sie war mittlerweile nüchtern genug, um seine Absicht zu
durchschauen. „Nee, du! Wenn du Namen willst, musst du früher aufstehen!“
„Frau Tönnessen! Wenn wir den Mörder von Inge finden wollen, müssen
wir wissen, mit wem sie zusammen war.“ Susanne versuchte es immer noch mit
Vernunft.
Aber Tönnessen verfiel jetzt in die Rolle der abgebrühten
Geschäftsfrau. Und die Preisgabe von Namen war das Letzte, was sie sich erlauben
konnte. Deshalb gab es angeblich auch keine Kundenkartei oder Ähnliches. Sie
behauptete, alles im Kopf zu haben — zur Sicherheit, wie sie betonte. Sie
machte Andeutungen über Kommunalpolitiker, Mitglieder der Staatskanzlei in
Düsseldorf und den einen oder anderen Industriellen, die angeblich zu ihrem
Kundenkreis gehörten. Deren Identität sie verständlicherweise nicht preisgeben
würde. Weder deren Namen, noch die der Mädchen, die für sie arbeiteten.
„Wir können Sie zwingen, eine Aussage zu machen!“, sagte Susanne
ungeduldig.
„Was denn? Beugehaft oder so?“ Tönnessen lachte auf. „Können Sie ruhig
machen, wird Ihnen aber nichts nützen. Sag ich Ihnen gleich!“
Susanne ließ sie in dem Glauben, dass es einfach war, eine Beugehaft
zu erwirken und versuchte es weiter. Konfrontierte sie mit den Abkürzungen aus
Inges Kalender. Genau wie Chris ging auch die Kommissarin davon aus, dass es
sich dabei um Verabredungen mit Freiern handelte. Aber Tönnessen reagierte auf
keines der Kürzel.
Erst als Susanne fragte: „Können Sie uns wenigstens sagen, ob einer
Ihrer Kunden eine
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