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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Beziehung zum Industriegebiet Ossendorf hat?“, verriet sie
sich. Es war kaum mehr als ein Wimpernschlag. Ein kurzes Blinzeln,
Sekundenbruchteile, in denen sich die Pupillen weiteten. Aber es genügte, um
Susanne Gewissheit zu verschaffen.
    Tönnessen schwieg jedoch auf alle Nachfragen beharrlich. Die beiden
Polizisten bissen auf Granit. Wenn überhaupt, entlockten sie ihr ein „Nein“.
    Irgendwann begann Susanne sich zu fragen, inwieweit diese
Verweigerungshaltung eine Folge von Angst war. Angst, dass der eine oder andere
hoch gestellte Kunde es mehr als übel nehmen könnte, plötzlich seine sexuellen
Vorlieben an die Öffentlichkeit gezerrt zu sehen. Die Verschwiegenheit von
Tönnessen war nicht nur Geschäftsprinzip, sondern auch ihre persönliche
Lebensversicherung.
    Schließlich wechselte Susanne das Thema. Sie fragte nach Inges Zimmer
und erntete schallendes Lachen.
    „Zimmer? Zimmer! Sie hatte zwei Koffer, als sie hier eingezogen ist,
und die hat sie auch wieder mitgenommen.“ Mit einer weit ausholenden Bewegung,
die ihre ganze Wohnung zu umfassen schien, setzte Tönnessen hinzu: „Aber bitte,
seht doch selber nach!“
    Hellwein ließ sich das nicht zweimal sagen und ging hinaus. Susanne
war allerdings sicher, dass er nichts finden würde, denn Karin Berndorf hatte
so ziemlich das Gleiche gesagt.
    „Haben Sie irgendeine Ahnung, wer es gewesen sein könnte?“, setzte
Susanne die Befragung fort.
    Tönnessen nestelte an ihrem Morgenrock herum, ehe sie antwortete. „Für
unsere Kunden lege ich meine Hand ins Feuer, das sage ich Ihnen! Aber fragen
Sie doch mal den Typen, den sie zuletzt hatte.“
    „Typen?“ Im Kopf der Polizistin stand plötzlich ein großes
Ausrufezeichen.
    „Typen, ja! Mit ihren Freiern ins Bett zu gehen, reichte ihr nicht.
Mit mir ins Bett zu gehen, reichte ihr noch viel weniger. Sie hatte immer
irgendwelche Affären — mit Männern!“ Die letzten beiden Worte spuckte sie
förmlich aus.
    Hellwein kam mit einem Achselzucken von seinem Rundgang zurück, und
Susanne fragte weiter: „Wer war der aktuelle Liebhaber?“
    „Was weiß ich?“
    „Frau Tönnessen!“
    „Ich weiß es wirklich nicht!“ Ihre Stimme wurde schrill. „Wenn ich´s
wüsste, würd ich ihm den Schädel einschlagen, glauben Sie mir! Schätze auch
mal, der hat sie geschwängert und jetzt totgemacht!“
    Sie beugte sich vor, die Augen zu Schlitzen verengt. „Aber ich find´s
raus! Das schwöre ich Ihnen! Und dann kriegt er das zurück, was er Inge angetan
hat.“
     
    Auf dem Rückweg ins Rechtsrheinische sagte Hellwein: „Wir sollten die
Tönnessen vorladen, Susanne, und dann richtig in die Mangel nehmen.“
    Er steuerte den Wagen in die enge Kurve zur Deutzer Brücke und erntete
nur ein „Hmh.“
    Sie hatte nicht zugehört, war in Gedanken plötzlich bei dem neuen
Puzzle, das sie letzte Woche angefangen hatte. Es war ihr immer ein bisschen
peinlich, aber Puzzle waren ihre Leidenschaft. Und so gab es in ihrer Wohnung
keine Poster oder Gemälde wie bei anderen Leuten. Bei ihr hingen großformatige
Puzzlebilder an den Wänden, aufgeleimt auf Tischlerplatte und von einem
Spezialgeschäft gerahmt. Neuschwanstein im Schlafzimmer, die Golden Gate bei
Nacht und die Skyline von Manhattan im Wohnzimmer und in der Küche zwei
schlafende Katzenbabys. Letzte Woche hatte sie ein Bild angefangen, mit viel
Wasser, Wellen und noch mehr Himmel, das irgendwann einmal in der Diele hängen
sollte. Fünftausend Teile, beinahe nur Weiß- und Blautöne — eine echte
Herausforderung. Und vielleicht musste sie gerade jetzt daran denken, weil der
Himmel über der Stadt genau diese Farben hatte. Zarte Schleierwolken hingen
über dem Fluss, und links von ihr ragten die beiden Türme des Doms wie dunkle
verwitterte Finger in ein helles milchiges Blau.
    „Hast du mir zugehört?“, schreckte Hellwein sie auf.
    „Was? — Nö!“, kam die lapidare Antwort.
    Hellwein spürte, dass er rot wurde vor Ärger. Manchmal fragte er sich,
ob seine Vorgesetzte ihn in den fünf Jahren, die sie nun ein Team waren, jemals
wirklich wahrgenommen hatte. Sie verlor kein Wort darüber, wenn er beim Frisör
gewesen war, sah nicht, wenn er ein neues Hemd trug, vergaß seinen Geburtstag.
Bei seiner letzten Erkältung im Januar hatte sie nicht ein Wort des Bedauerns
gefunden, sondern nur gesagt: „Geh nach Hause, Heinz. Du steckst mir die Leute
hier an!“ Und wenn sie, so wie jetzt, nicht zuhörte, hielt sie es nicht einmal
für nötig, sich zu

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