Fehlschuss
Augen und
die dunkelblonden Locken auf seinen Armen. Sie mochte Männer, die nicht nur auf
dem Kopf Haare hatten. Den ganzen Sonntag über kreisten ihre Gedanken um Chris.
Sie hatte lesen wollen, Musik hören, Negative archivieren, ihre
Kameraausrüstung vorbereiten für die Nachtaufnahmen in Godorf. Stattdessen lag
sie blödsinnig grinsend auf der Couch — stundenlang. Mit einer eigenartigen
Nervosität im Magen, einem Gefühl, das ihr jedes Mal entglitt, wenn sie versuchte,
es konkret zu fassen.
Irgendwann war sie schließlich wütend geworden. Sie hatte verdammt
nochmal Besseres zu tun, als von gutaussehenden Anwälten zu träumen! Aber da
war es schon so spät, dass sie es gerade noch schaffte, ihre Ausrüstung bereit
zu machen. In der Eile hatte sie sogar vergessen, den zweiten Belichtungsmesser
einzupacken. Und — aber das fiel ihr jetzt erst ein — die Rollläden im
Arbeitszimmer waren nicht heruntergezogen.
Derangiert sah sie also aus. Und ihre Freunde erwarteten natürlich
eine Erklärung.
„Erinnert ihr euch an Inge?“, fragte sie deshalb und wünschte sich
plötzlich nichts sehnlicher als eine Zigarette.
„Inge?“ Achim zog die Stirn in Falten. „War das nicht die mit dem
süßen Schmollmund?“
„Ja, genau die!“ Karin erzählte, was geschehen war, erwähnte auch kurz
die Gespräche mit Chris und den Polizisten. Das heißt, kurz erwähnte sie nur
die Polizisten; bei Chris hielt sie sich länger auf. Viel länger. So lange,
dass Klaus schließlich mit einem koketten Lächeln fragte: „Sieht der Kerl
wenigstens gut aus?“
„Quatsch nicht!“, fuhr Karin auf. „Er ist absolut nicht mein Typ!“
Zwölf
Als Susanne
und Hellwein zu Brigitte Tönnessen fuhren, hatten sie gerade das Gespräch mit
Karin Berndorf hinter sich gebracht. Und Susanne war immer noch zornig.
Erwähnte die Berndorf doch völlig unschuldig, dass am Tag zuvor schon ein
Anwalt bei ihr gewesen sei!
Susanne riss sich zusammen, solange sie in der Wohnung am
Klettenbergpark waren. Kaum saßen sie jedoch im Auto, brach die Wut so aus ihr
heraus, dass Hellwein unwillkürlich den Kopf einzog. Seine Vorgesetzte fluchte
oft, und sie fluchte deftig. Das heute war jedoch kaum zu überbieten. Zum
Schluss trommelte sie mit den Fäusten auf das Armaturenbrett ein und schrie
lauthals: „Dieser elende Mistkerl! Ich sage ihm: Keine Alleingänge, keine
Geheimniskrämerei! Und was tut er? Diesen verfluchten Halunken sollte der Blitz
beim Scheißen treffen, Heinz! Wirklich! Ich schwör´s dir!“
Nur mit Mühe unterdrückte Hellwein ein Grinsen. Er kannte die Abläufe.
Der Höhepunkt war überschritten, und gleich würde sie ganz ruhig fragen, was er
denn von dieser Berndorf hielt.
Susanne atmete tief durch, steckte sich eine Zigarette an und sagte
völlig gelassen: „Was hältst du denn von der Berndorf?“
Sie diskutierten eine Weile alle Möglichkeiten. Dass Berndorf aus Wut
über die Kamera die Hand ausgerutscht sein könnte, so heftig, dass es ihr
schließlich Spaß gemacht hatte, ihr Opfer zu quälen.
Aber Susanne verwarf den Gedanken zunächst schnell wieder. Nicht
unbedingt, weil sie sich auf Menschenkenntnis und Intuition verließ, sondern
auf Statistiken und Polizeipsychologie. Und da war das Bild eindeutig. Nur etwa
zehn Prozent aller Tötungsdelikte gingen überhaupt auf das Konto von Frauen.
Und wenn, töteten sie anders. Nach oft jahrelangen Partnerschaftskonflikten
stachen sie ihren Ehemännern ein Messer in den Bauch; sie lockten ihr Opfer in
einen Hinterhalt, um ihm mit Hilfe eines Dritten die Kehle durchzuschneiden;
sie beauftragten ihren Geliebten, dem störenden Ehemann eine Kugel in den Kopf
zu jagen. Sie töteten Menschen im Schlaf, verabreichten Gift. Aber Frauen
folterten nicht. Sie drosselten nicht, drückten keine Zigarettenglut auf der
Haut aus, traten nicht in Bäuche. Frauen gingen nicht mit dieser sadistischen
Brutalität vor. Hinzu kam noch, dass Lautmann in der Mehrzahl gesprochen hatte.
Und vor allem: Wer ruft schon nach seinem eigenen Folterknecht?
Trotzdem würden sie natürlich auch die persönlichen Daten von Berndorf
unter die Lupe nehmen. So, wie jeder überprüft wurde, solange sich keine
konkreten Verdachtsmomente auf eine bestimmte Person ergaben.
Brigitte Tönnessen wohnte unmittelbar an der Neusser Straße, die in
den letzten Jahren mehr und mehr zur „Einkaufsmeile“ mutiert war, mit
Kaufhausfilialen, Banken, Boutiquen und Schuhgeschäften. Die Bürgersteige waren
verbreitert
Weitere Kostenlose Bücher