Fehlschuss
entschuldigen oder nachzufragen, was er denn gesagt hatte.
Hellwein seufzte und schluckte seinen Zorn hinunter. Es brachte
nichts. Sie würde sich ja doch nie ändern.
Zurück im Präsidium rief Susanne Müller und Klippstein zur
Lagebesprechung.
Zwei Minuten später riss der nervöse Müller die Tür zum Büro so
stürmisch auf, dass die Miniaturzettel mit dem der Monitor von Hellwein
gespickt war, in alle Himmelsrichtungen davonsegelten. Aber Hellwein hängte
erst in aller Gemütsruhe sein dunkles Sakko auf einen Bügel, ehe er über den
Boden krabbelte und nach den Zetteln fahndete.
Müller nahm die zwei, die vor seinen Füßen gelandet waren, in die Hand
und versuchte, sie zu entziffern. Dann schüttelte er den Kopf. „Du hast ´ne
Schrift wie Ameisenkacke, weißt du das eigentlich?“
Hellwein war nicht beleidigt. Er kannte die Beschwerden über seine
kleine, krakelige Schrift. Ob sie nun jemand als „Ameisenkacke“ beschrieb oder
„Fliegenschisse“, wie Susanne immer sagte, war ihm herzlich egal. Es gab
überhaupt nur wenig, was ihn wirklich aufregte. Dazu gehörten die mangelnde
Aufmerksamkeit seiner Vorgesetzten und sein Kegelverein. Bei Letzterem war er
besonders empfindlich. Die meisten glaubten natürlich, er wäre in einem typischen
Freizeitclub, wo wenig gekegelt und viel getrunken wurde. Dass Kegeln
ernsthafter Sport sein konnte, dass es internationale Turniere und
Weltmeisterschaften gab, wusste kaum jemand. Und dass er mit seinem Verein
schon mal Deutscher Vizemeister geworden war, nahm niemand so richtig ernst.
Das wurmte und verletzte ihn, und jede abfällige Bemerkung über seinen Sport
brachte ihn richtig in Harnisch. Für die „Ameisenkacke“ hatte er jedoch nur ein
müdes Lächeln übrig.
Müller gab ihm die Zettel zurück und war offenbar enttäuscht, dass
Hellwein so gar nicht auf seine Worte reagierte.
Nach zehn Minuten tauchte auch der hünenhafte Klippstein endlich auf,
verschwitzt wie immer. Schweißperlen rollten die Schläfen hinab, und er zog ein
zerdrücktes Kleenex aus der Hosentasche, um sich das Gesicht zu wischen.
„Musste noch wohin“, murmelte er dabei entschuldigend.
Susanne hatte eher den Verdacht, dass er vor dem Radio gesessen und
Fußball gehört hatte. Das tat er am Wochenende nämlich immer. Wochenende! Sie
dachte an das Puzzle und beschloss, nach dieser Besprechung Feierabend zu
machen.
Müller brachte keine neuen Erkenntnisse, aber wenigstens Klippstein
hatte etwas herausgefunden. „Ich habe einen Pförtner aufgegabelt, der sitzt in
einem Häuschen direkt Ecke Hünefeldstraße und Mathias-Brüggen-Straße.
Donnerstag früh hat er Lautmann in Begleitung eines Mannes gesehen“, erklärte
er, während er sich den Besucherstuhl mit dem abgewetzten Polster heranzog.
„Ist er sicher?“, warf Hellwein ein.
„Absolut! Die beiden sind ihm aufgefallen, weil die Frau total
durchgestylt war, und weil sie zu Fuß unterwegs waren. Ansonsten sieht er da
den ganzen Tag nämlich nur LKWs und allenfalls ein paar Arbeiter, die in die
Mittagspause gehen.“ Die Augen von Klippstein blitzten auf. „Ihre Begleitung
war übrigens untersetzt, dunkles, volles Haar, so ein richtig südländischer
Typ.“
Unwillkürlich pfiff Susanne durch die Zähne. Denn wenn auch diese
Nonne im Krankenhaus das Telefongespräch nicht genau wiedergeben konnte und der
Mann geflüstert hatte, so war ihr doch aufgefallen, dass er mit leichtem Akzent
sprach.
„Für eine Phantomzeichnung wird´s allerdings nicht reichen“, führte
Klippstein weiter aus. „Wie der Pförtner sagte, hat er nur die aufgedonnerte
Tussi richtig wahrgenommen. Der Typ dabei war reine Nebensache.“
„Wo sind sie hingegangen?“, fragte Müller. Er lehnte mit verschränkten
Armen an dem kleinen Waschbecken neben der Tür. Seine drahtigen dunklen Locken
hatte er heute mit jeder Menge Gel gebändigt.
„Das hat unser Pförtner leider nicht mehr mitbekommen, weil er einen
LKW abfertigen musste. Sie sind aus Richtung Militärring gekommen. Aber das
war´s dann auch.“
Susanne trat an den Stadtplan und rollte die Ärmel ihrer weinroten
Bluse nach oben. Waren sie weiter geradeaus gegangen, kamen sie unweigerlich
zum Wohnblock; waren sie abgebogen, hatten sie sich zwischen Fabrikschloten und
Lagerhallen verloren. Wie auch immer, für sie stand jetzt zweifelsfrei fest,
dass Lautmann irgendwo im Industriegebiet Ossendorf misshandelt und gequält worden
war, auch wenn der Pathologe sagte, sie könne eine Weile
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