Fehlschuss
musste vor kurzem geregnet haben.
Auf dem baumbestandenen Mittelstreifen hatten sich große Pfützen gesammelt, und
im nassen Asphalt spiegelte sich die gelbrote Leuchtreklame eines Möbelhauses.
Jetzt bloß keine Streife! Er fuhr zu schnell, viel zu schnell.
Außerdem hatte er keine Papiere bei sich, dafür aber eine Pistole im Hosenbund,
für die er keinen Waffenschein besaß. Irgendwann mal von Theo für „meinen
kleinen Anwalt“ besorgt. Chris wusste nicht einmal, ob sie funktionierte oder
nicht schon längst eingerostet, verölt oder sonst was war.
Er sah das säuerliche Gesicht von Susanne vor sich, die bei den
uniformierten Kollegen ein gutes Wort für ihn einlegen musste. Fehlte noch die
Presse. „Anwalt jagt als Rambo durch Kölns Straßen.“ — Gerade sowas sprach sich
in dieser Stadt schnell herum.
Chris schlug wütend auf das Lenkrad und nahm den Fuß ein wenig vom
Gas. Er hatte die Sache völlig überstürzt angepackt. Natürlich! Wie immer!
Wieso handelte er immer schon, bevor er nachdachte? Wieso konnte er nur im
Gerichtssaal präzise und kontrolliert sein? Was war so schwer daran, ein
kleines bisschen davon mit ins Privatleben zu nehmen? Wieso hatte er nicht
nachgehakt, was passiert war? Vielleicht die Polizei gerufen? Die wäre auf
jeden Fall schneller gewesen. Schließlich war Karin Berndorf keine
Hysterikerin, die grundlos andere Leute aus dem Bett holte. Wenn eine Frau wie
sie „bitte“ sagte, dann bestimmt nicht, weil sie zum Kaffee einlud.
Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis er endlich in die Luxemburger
Straße einbog. Er hatte keinen Blick für das Uni-Center, dieses
abscheulich-faszinierende Hochhaus, in dem man sich ab der 40. Etage wie auf
einem Schiff vorkam, wenn es stürmte. Normalerweise schaute er immer an dieser
Bausünde nach oben und versuchte das Fenster auszumachen, hinter dem er in
seiner Studentenzeit gewohnt hatte. Jetzt aber steckte ihm plötzlich die Angst
in den Knochen. Oder sah er mal wieder Gespenster? Hätte Karin nicht selbst die
Polizei gerufen, wenn irgendeine Gefahr drohte?
Trotzdem — das mulmige Gefühl blieb, und als er endlich aus dem Auto
stieg, merkte er, wie hart sein Herz gegen die Rippen pochte.
Auf sein Klingeln wurde fast augenblicklich geöffnet. Karin erwartete
ihn an der Wohnungstür. Ein bisschen blass um die Nase, aber von der verstörten
Frau, die da vor kaum zwanzig Minuten seinen Traum unterbrochen hatte, war
nichts mehr zu sehen.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und meinte anerkennend: „Sie
dürften sämtliche Verkehrsregeln gebrochen haben.“
„Einige“, gab Chris ein wenig atemlos zu. „Was ist passiert?“
Karin trat einen Schritt zurück und gab den Blick in ihre Wohnung
frei. Schubladen lagen umgedreht auf dem Boden, Schränke waren aufgerissen,
Wäsche, Papier, Bücher bedeckten die Teppiche. Hinten im Wohnzimmer machte
einer der Rattansessel Kopfstand, der Glastisch lag auf der Seite.
Unwillkürlich griff Chris zum Hosenbund. Karin hatte die Bewegung
genau verfolgt und legte ihre Hand auf seinen Unterarm. „Lassen Sie dieses
Teufelsding stecken, um Gottes willen! Es ist niemand mehr drin!“
„Sie hätten nicht allein reingehen sollen“, gab er vorwurfsvoll
zurück.
„Ich lebe noch“, kam die lapidare Antwort. „Brauchen Sie das da in
Ihrem Job?“
„Ich hab sie noch nie benutzt, wenn Sie das meinen. — Warum?“
Karin hob die Schultern. „Ich finde nur, zu einem liebenswürdigen
Menschen passt keine Waffe!“
Da bricht jemand in ihre Wohnung ein, hinterlässt einen Trümmerhaufen,
und diese Frau macht Komplimente, dass die Ohren glühen.
Schnell wandte er sich der Wohnungstür zu, um seine Verlegenheit zu
verbergen. Auf den ersten Blick konnte er keine Aufbruchspuren entdecken. „Wie
sind sie reingekommen?“, fragte er deshalb.
„Über das Fenster im Arbeitszimmer“, knurrte Karin. „Ein Fensterflügel
war gekippt.“ Sie warf Chris einen seltsamen Blick zu. „Ich war in Eile und
hatte vergessen, die Rollläden runterzulassen.“
„Lassen Sie bitte alles so wie es ist, bis die Polizei hier war“, rief
er und watete durch die Papier- und Stofffluten, um das Telefon zu suchen.
„Die Polizei wird uns nicht viel nützen“. Karin war ihm in die Wohnung
gefolgt. Ihre Stimme hatte einen sonderbaren Unterton, etwas, das Chris nicht
zuordnen konnte. „Das war kein gewöhnlicher Einbruch. Sehen Sie: Es ist alles
noch da. Stereoanlage, Fernseher. Mein Schmuck im Schlafzimmer und auch
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