Fehlschuss
fragte er weiter.
Pascale lachte auf. „Die haben liebend gern an Brigitte gezahlt. Die meisten
von denen waren ganz armselige, feige Wichte. Und Brigitte legte ihre Hand
dafür ins Feuer, dass ihre Vermittlungen absolut diskret waren.“
„Hat es jemals Probleme gegeben?“ Plötzlich glaubte Chris, das Motiv,
nach dem sie alle so händeringend suchten, gefunden zu haben. — Inge hatte auf
eigene Rechnung arbeiten wollen, und bei ihrer Bestrafung hatte es eine Art
„Betriebsunfall“ gegeben. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass so etwas
passierte.
„In meiner Zeit nur ein Mal.“
„Und?“
Pascale presste die Lippen zusammen und murmelte: „Die Frau ist nicht
mehr in der Stadt.“
„Verstehe! — Inge Lautmann haben Sie also nicht mehr kennen gelernt?“
„Sie ist tot, oder?“ Die dunklen Augen und das Gesicht wurden
plötzlich ernst. „Ich hab sie zwei, drei Mal mit Brigitte in einem Lokal
gesehen, letztes Jahr glaube ich. Das kann man sicher nicht als kennen
bezeichnen. Aber ich weiß, dass sie Brigittes liebstes Kind war. Meinen Sie,
irgendein Freier hat sie fertiggemacht?“
Chris zuckte die Achseln. „Es wäre eine Möglichkeit!“ Er sah Pascale
auffordernd an.
Sie verstand sofort und schüttelte den Kopf. „Nein, mein Lieber! Namen
werden Sie von mir nicht bekommen! Keinen einzigen. Brigitte kann da sehr
empfindlich sein. Es gibt Leute, die nennen sie Gift-Gitte.“
Die dunklen, sprühenden Augen nahmen mit einem Mal einen besorgten
Ausdruck an. Der ganze kugelige Leib straffte sich, bevor sie sagte: „Steigen
Sie aus, mein Junge! Wenn Sie da weitergraben, passt Ihnen irgendwann kein Hut
mehr!“
So was Ähnliches hatte schon Tinni von sich gegeben und damit nur
seinen Trotz geweckt.
„Ich will wissen, wer das war“, antwortete er fest, „und ich werde es
rauskriegen! Pascale! Irgendjemand hat so auf sie eingeprügelt, dass sie daran
gestorben ist!“
Sein Gegenüber nickte. „Eben drum. Ich bin zu lange im Geschäft und
kenne zu viele von diesen Typen. Von mir werden Sie nichts hören. Es … tut mir
Leid.“
Chris trank sein Glas aus und verabschiedete sich. Er hätte noch
Stunden mit Pascale reden können und wäre nicht einen Schritt weitergekommen.
Das war ihm völlig klar. Sie hatte Angst, so viel Angst, dass sie nie und
nimmer einen Namen nennen würde.
An der Tür fasste die kleine Person seinen Ärmel und hielt ihn zurück.
„Warten Sie!“
Ein winziger Moment des Zögerns, ein Biss auf die Unterlippe. Dann
sagte sie: „Gehen Sie zu Larissa. Sie hat nie für Brigitte gearbeitet, soll
aber ziemlich dick mit Inge Lautmann befreundet gewesen sein.“
„Larissa?“
„Larissa. Künstlername, wie Pascale.“ Wieder perlte das ansteckende
Lachen. „Sie hat ein Wohnmobil am Verteilerkreis stehen. Oder aber beim Autohof
Eifeltor. Die LKW-Fahrer da bringen gutes Geld. Aber gehen Sie tagsüber hin.
Abends sind da die seltsamsten Typen.“
In der Piusstraße steuerte Chris zielstrebig „seine“ Imbissbude an. Die
kleine Griechin hinter der Theke warf die Pommes schon ins Fett, als er die
Türklinke noch in der Hand hatte. Während er auf Currywurst und Fritten
wartete, sah er drei Jugendlichen zu, die im hinteren Teil des Raumes standen
und völlig fasziniert auf die rotierenden Scheiben eines Spielautomaten
starrten. Das Gerät ratterte und klingelte in einem fort.
Die Wurst war heiß und scharf wie immer, die Pommes goldgelb. Aber er
schmeckte so gut wie nichts. Er war viel zu sehr mit der Frage beschäftigt, wer
alles zum Kundenkreis von Tönnessen gehören musste, um solche Ängste
auszulösen.
Erst zu Hause erlaubte sich Chris, an Karin zu denken. Er löschte alle
Lichter bis auf die Stehlampe neben der Couch und legte Kiri Te Kanawa auf,
„Verdi- und Puccini-Arien“. Beherzt drückte er die Shuffle-Taste und drehte so
laut, bis „Se come voi“ als Vibration in seinem Bauch ankam. Dann erst wagte
er, die Schublade in seinem Kopf wieder zu öffnen.
„… und peng — sie rastet aus!“
Nein, wegen einer geklauten Kamera rastete Karin nicht aus. Dazu
gehörte mehr. Gewalt, zum Beispiel, oder das Überschreiten einer von ihr selbst
gesteckten Grenze.
Hatte Inge diese Grenze überschritten? War sie in Raum und Zeit von
Karin eingedrungen, ohne zu ahnen, was sie tat?
Das ist nicht wahr, dachte er. In seinem Herzen krampfte sich
irgendetwas schmerzhaft zusammen. Das darf einfach nicht wahr sein!
Aber in seinem Kopf flüsterte dieser kleine
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