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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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in dieser Stadt. Aber
keinen, der mir so viel Spaß bereitet. — Wohin sollte die Spende für die Sache
heute gehen? Zum SkF?“
    Chris bejahte und war absolut sicher, dass noch diese Woche der Scheck
beim Sozialdienst katholischer Frauen eingehen würde.
     
    Das einzig Positive heute, dachte Chris. Es war früher Mittag. Seine
Beine lagen auf der gläsernen Schreibtischplatte. Das in blauen Dunst gehüllte
Zimmer, sowie die Anweisung an Petra Nix, auf keinen Fall irgendeine Störung
zuzulassen, zeugten von seiner Stimmung.
    Die „Nixe“, wie er seine Mitarbeiterin nannte, war lange genug bei
ihm, um angemessen darauf zu reagieren. Sie hatte ihrem Chef Kaffee gebracht,
aber auf ihr sonst so munteres Geplauder verzichtet. Sie kannte dieses Brüten,
das oftmals gerade nach erfolgreichen Prozessen einsetzte.
    Chris hatte halbwegs mitbekommen, dass die Nixe Kaffee brachte und
dabei einen kleinen Stich verspürt. Als er Referendar bei Heimann & Heimann
gewesen war, wo gut ausgebildete Anwaltsgehilfinnen dazu degradiert wurden,
ihren Vorgesetzten ständig Kaffee zu bringen, hatte er sich geschworen, es
niemals so weit kommen zu lassen. — Es war schon seit Jahren so weit. Die Nixe
brachte ihm Kaffee, und es schien ihr nicht mal was auszumachen!
    Nicht der Kaffee, sondern Eickboom ließ ihn — wieder einmal — die
Zwiespältigkeit seines Jobs betrachten. Wieder einmal hatte Chris sein Spiel
gespielt, und es war so ausgegangen, wie der Alte es von vornherein berechnet
hatte. Chris hatte sich nie der Illusion hingegeben, wirklich mit ihm zu
verhandeln. Dafür war der Spaß, den er dabei empfand, zu offensichtlich. Aber
mit jedem Mal wurde die Macht von Eickboom deutlicher. Er manipulierte seinen
Anwalt genauso, wie er wahrscheinlich Hunderte seiner Angestellten
manipulierte. Sicher, es gehörten immer zwei dazu: Einer, der am Fädchen zog
und einer, der entsprechend hampelte. Chris könnte natürlich sein Hampeln
einstellen und den Faden durchschneiden. Aber so einfach war das leider nicht.
Jedenfalls so lange nicht, wie er Eickbooms Geld brauchte. Und das ärgerte ihn
maßlos.
    Der zweite Grund für seine Brummigkeit war Stefan Eickboom. Tief in
seinem Inneren war Chris nämlich der Auffassung, er hätte für sein
unverantwortliches Handeln höher bestraft werden müssen. Aber ausgerechnet er
hatte mit aller Kraft darauf hingearbeitet, das Gegenteil zu erwirken! Weil es
sein Job war, weil er das Geld brauchte. — Womit er wieder bei Punkt eins war.
    Manchmal erschien ihm die ganze Juristerei widersinnig. Einem
Schuldigen wie Eickboom ersparte er eine Gefängnisstrafe, und für die
Unschuldigen konnte er oft nichts tun. Wie für die beiden bosnischen Frauen
letztes Jahr. Wenn er daran dachte, wurde er immer noch wütend. Den Frauen war
es ergangen wie so vielen anderen aus Osteuropa: ins Land gelockt,
drogensüchtig gemacht, auf den Strich gezwungen und nach ein paar Jahren
verbraucht und ohne Pässe auf die Straße gesetzt. Er hatte alles versucht, um
eine Abschiebung zu verhindern. Hatte die wenigen rechtlichen Möglichkeiten
voll ausgeschöpft, versucht, Therapieplätze zu bekommen, was eine Abschiebung
zumindest hinausgezögert hätte, war dem zuständigen Richter täglich auf die
Nerven gefallen. Trotzdem schickte man die Frauen in die „Heimat“ zurück, zu
Familien, die die drogensüchtigen Huren mit Sicherheit längst verstoßen hatten.
    Chris seufzte auf. Da war Karins Job einfacher … Karin …
    Sie hatte sich noch nicht gemeldet, also konnte sie wohl immer noch
nicht feststellen, ob sie in ihrer Wohnung etwas vermisste. Susanne schien auch
auf der Stelle zu treten, sonst hätte sie von sich hören lassen. Ebenso Theo
und seine unerschöpflichen Quellen. Wobei diesmal die Quellen wohl eher nur
tröpfelten. Blieb diese Larissa. Falls er sie heute noch ausfindig machen
wollte, musste er bald los — wenn er die Kraft dazu hatte.
    Im Moment reichte die Kraft nur, um die Beine auf dem Schreibtisch
liegen zu lassen und sich eine Zigarette nach der anderen anzustecken. Darüber
nachzugrübeln, wie Wunschdenken und Realität in seinem Beruf zu vereinbaren
waren. Er hatte nicht mal Lust auf die Tageszeitung, malte stattdessen Spiralen
auf ein Blatt Papier. Dann Rechtecke, Würfel, Pyramiden, viereckig, sechseckig.
Dann versuchte er, ein regelmäßiges Fünfeck zu zeichnen und brauchte
schließlich drei Anläufe, ehe ihm wenigstens „Das ist das Haus vom Nikolaus“
gelang.
    „Studier was Vernünftiges“,

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