Fehlschuss
wuchs.
Während er einen Parkplatz suchte, überlegte er, ob er mit der
Kommissarin darüber reden sollte. Aber wie stellte man das an, ohne dass es
verletzend wirkte? — Für solch heikle Angelegenheiten fehlte ihm schlicht das
diplomatische Geschick.
Der wuchtige Turm des Severinstors warf lange Schatten auf den
belebten Platz davor. Die Tische der vielen Straßencafés rund um das ehemalige
Stadttor waren dicht besetzt. Chris dachte kurz über einen Espresso nach. Er
spürte nun doch, dass ihm ein paar Stunden Schlaf fehlten. Na, vielleicht nach
dem Gespräch mit Pascale.
Er schlängelte sich an ein paar Tischen vorbei, suchte die richtige
Hausnummer und drückte dann auf den Klingelknopf neben einem völlig neutralen
Messingschild „P. Klein“.
Eine winzig kleine, kugelrunde Person von etwa Anfang fünfzig öffnete
ihm die Tür und strahlte ihn aus dunklen Augen an. Sie trug einen fast
bodenlangen, mit Spitzen besetzten Morgenmantel und hochhackige Schuhe mit
Pfennigabsätzen.
„Sie kommen von Theo, stimmt´s?“
Vor Überraschung brachte Chris nur ein Nicken zustande. Wenn er die
High Heels abrechnete, konnte sie höchstens eins vierzig groß sein, und durch
ihre Fülle wirkte sie beinahe quadratisch. Er hatte schon viele Prostituierte
gesehen, die unterschiedlichsten Figuren für die unterschiedlichsten
Geschmacksrichtungen, aber Pascale war mehr als ungewöhnlich.
Sie bugsierte ihn durch einen dunklen Flur in eine enge Küche, die
außer einer kurzen Arbeitsplatte mit Unterschränken, Herd und Kühlschrank nur
noch Platz ließ für einen Tisch mit zwei Stühlen.
„Kommen Sie, kommen Sie, setzen Sie sich!“ Pascale wirbelte um den
Tisch und zog einen der Stühle hervor, wartete fast ungeduldig, bis Chris Platz
genommen hatte, ehe sie sich selbst setzte. Eine Kugel aus geballter Energie.
„Hören Sie auf, sich Gedanken zu machen“, sprudelte sie los, und er
wurde sich peinlich bewusst, dass er sie immer noch anstarrte. „Solange die
Titten okay sind und man untenrum nicht allzu ausgeleiert ist, ist euch Jungs
doch allesandere Schnuppe!“
Ein helles, ansteckendes Lachen perlte wie ein klarer Gebirgsbach aus
ihrem Mund. „Tja, und mein Alter? — Wissen Sie, meine Stammkunden werden
gemeinsam mit mir älter. Das ist in Ordnung so!“
„Verzeihen Sie“, murmelte Chris, wieder einmal puterrot.
„Nein, nein, nein!“ Pascale griff über den Tisch und tätschelte seine
Hand. „Nicht entschuldigen! Das ist mir schon so oft im Leben passiert!“ Wieder
perlte das Lachen hervor, und dieses Mal musste er mit einstimmen.
„Also“, fragte sie mit schief gelegtem Kopf. „Was kann ich für Sie
tun?“
„Sie haben mal für Brigitte Tönnessen gearbeitet.“
„Allerdings! Bis vor sechs Jahren.“
„Und warum haben Sie aufgehört?“
Die Kugel schoss von ihrem Stuhl hoch und wieselte hinter Chris durch
die Küche. Von draußen klang Stimmengewirr und Gelächter durch das geöffnete
Fenster. Chris sah auf die gemauerten Zinnen des Stadttors, auf denen sich
Dutzende Tauben drängten.
„Wissen Sie“, erklärte Pascale. „Brigitte hat mir auf ihre Weise zu
verstehen gegeben, dass ich zu alt wurde für den Job. — Sie hat mich einfach
nicht mehr bestellt.“
„Bestellt? Das heißt, die Frauen sind nicht festangestellt sozusagen,
sondern stehen auf Abruf bereit?“
Pascale kam mit zwei Gläsern Sekt herangewirbelt und schob ihm eines
davon zu. „So ist es. Freiberufler, sozusagen. — Prost!“
Sie hob auffordernd ihr Glas und stieß mit Chris an. „Wir konnten auch
anderen Tätigkeiten nachgehen, solange sichergestellt war, dass wir jederzeit
zur Verfügung standen.“
„Dieses Arrangement ging dann aber doch nur mit Freien?“
„Natürlich! Aber was heißt schon frei?“ Die Kugel lächelte böse. „Die
Zuhälterfunktion hatte ja sozusagen Brigitte übernommen.“
„Dann hätte also auch niemand gewagt, das Geschäft ohne sie zu
machen.“
„Meine Güte, nein! Sie müssen verstehen, das Ganze war für uns sehr
lukrativ. Oft genug sah man sogar was von der Welt, wenn wir die Begleitung auf
Geschäftsreisen mimten. Hätte eine von uns versucht, die Provision für Brigitte
zu sparen, wäre sie sofort rausgeflogen, oder so.“
Was „oder so“ heißen sollte, konnte er sich gut vorstellen. Genau das,
was jeder kleine Zuhälter tat, wenn er sich von seinem „Pferdchen“ verschaukelt
fühlte: Eine gehörige Tracht Prügel im leichtesten Fall.
„Und die Freier selbst?“,
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