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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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hatten seine Eltern nach dem Abitur
gesagt. — Gab es etwas Vernünftigeres als Medizin oder Jura? Da Chris sich
nicht mit dem Gedanken anfreunden konnte, einen Großteil seines Lebens mit
kranken Menschen zu verbringen, war also nur Jura übrig geblieben.
    Seine Mutter platzte heute noch vor Stolz auf ihr einziges Kind. Der
Sohn mit dem Doktortitel. Er hatte ihr diesen Stolz gelassen, nie von seinen
Zweifeln gesprochen, nie davon, dass ihm „Jus est ars boni et aequi“ immer
öfter bitter aufstieß. „Die Juristerei ist eine gute und gerechte Kunst“, so
stand es jedenfalls über dem Portal des Oberlandesgerichts in Hamburg. Mit
Kunst hatte sein Beruf schon lange nichts mehr zu tun. Und gerecht? Der blanke
Hohn war …
    Das Summen des Telefons erschreckte ihn beinahe zu Tode.
    „Bitte!“, bellte er wütend in den Apparat. „Ich wollte doch nicht
gestört werden!“
    „Das habe ich dieser Frau Berndorf ja auch gesagt“, nuschelte die Nixe
unsicher. „Aber sie meinte, es sei äußerst dringend!“
    Chris hielt einen Moment die Luft an. Er hatte nur „Berndorf“ und
„dringend“ verstanden.
    „Stellen Sie durch!“ Plötzlich spürte er den Puls an seiner linken
Schläfe. Dringend! Karin hatte also etwas gefunden, besser gesagt, eben nicht
mehr gefunden.
    „Hallo!“ Ihre dunkle Stimme klang gelöst.
    „Was ist los?“, sprudelte er heraus. „Haben Sie was entdeckt?“
    „Oh — mir ist in der Tat gerade etwas sehr Sonderbares aufgefallen.“
Das klang jetzt ziemlich vergnügt.
    Trotzdem hielt Chris vor Spannung den Atem an. Endlich!
    „Und?“
    „Na ja — ich verspüre das dringende Bedürfnis, mit Ihnen Essen zu gehen!“
    „Sie … Oh Gott!“
    „Sagen Sie ruhig weiter Karin zu mir, das reicht völlig!“, kam es
trocken zurück. Sie war amüsiert, ausgesprochen amüsiert. „Holen Sie mich doch
um sechs ab, dann können wir noch einen kleinen Spaziergang machen.“
    Keine Frage nach Lust oder Zeit. Er hatte um sechs da zu sein und
Schluss. — Aber Chris hatte Zeit … und verdammt große Lust!
    Und er sprühte plötzlich wieder vor Energie. Mit einem strahlenden
Lächeln schwebte er an einer verwirrten Nixe vorbei und verließ mit einem „Bis
morgen!“ das Büro.
     
    Der Verteilerkreis war einer der wichtigsten Verkehrsknotenpunkte im
Süden der Stadt, den vor allem eines auszeichnete: mindestens zwölf Stunden
Stau täglich. Trotz des unablässigen Motorenlärms und der Abgase, die einem den
Atem nahmen, hatte man vor einiger Zeit hinter der Tankstelle auf der Westseite
ein Hotel gebaut. Einen grauen Betonbau mit roten Fensterrahmen.
    Chris drückte sich eine Weile zwischen Tankstelle und Hotel herum und
hielt Ausschau nach einem Wohnmobil. Außer einem guten Dutzend Motoradfahrer
neben der Tankstelle, die ihre schweren Maschinen aufheulen ließen, gab es
nichts Auffälliges. Chris trug sich einen Augenblick mit dem Gedanken, sie nach
Larissa zu fragen. Meistens wussten die Jungs was, und meistens waren sie auch
friedlich. Dann aber bemerkte er, wie einer der Typen — ein Kleiderschrank mit
offener Lederjacke, behaarter Brust und nietenbeschlagenen Stiefeln — ihn
unverfroren taxierte. Entweder er hielt Chris für einen Bullen, oder aber er
überlegte, ob der Hänfling im dunklen Anzug seine Brieftasche links oder rechts
trug.
    „Lassen wir das“, murmelte Chris zu sich selbst und drehte ab. Er ging
zum Hintereingang des Hotels, wo zwei Stricher auf Kundschaft warteten. Sie
waren misstrauisch, als er nach Larissa fragte und enttäuscht, dass er keine
Nummer schieben wollte.
    Es gelang ihm nicht, ihnen auch nur ein Wort zu entlocken, also fuhr
er weiter zum Autohof Eifeltor. Die wenigen Frauen, die hier hinter einer
langen Reihe parkender LKWs in der Sonne standen und auf Kundschaft warteten,
waren zunächst ebenso misstrauisch wie die beiden Stricher.
    Nach langem Hin und Her, unter tausend Beteuerungen, nicht von der
Polizei zu sein und nach Übergabe eines Zwanzigers, wurde eine Frau schließlich
gesprächig.
    „Larissa ist heute nicht hier. Versuch´s mal auf dem Parkplatz am
Kalscheurer Weiher, oder da, wo die Kleingärten sind, oder am alten Fort. Und
wenn sie da nicht ist, dann beim Wäldchen. Weißt du, wo?“
    Chris wusste und setzte sich in Marsch. Kurvte auf allen genannten
Parkplätzen herum, verfuhr sich zwei Mal in dem Gewirr von Kleingartenanlagen,
die hier in den letzten Jahren entstanden waren. — Kein einziges Wohnmobil.
    Es war fast zwei, als er beim Wäldchen

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