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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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bösartige Gnom: „Was hast
du denn für eine Ahnung? Was weißt du schon über traumatisierte Frauen? Was
weißt du, wie eine seelisch und körperlich verkrüppelte Frau auf die
Wiederholung ihres Traumas reagiert?“
    Nein, natürlich wusste er das nicht. Er verstand nichts von Psychosen,
von mehr oder weniger erfolgreichen Therapien. Hatte keinen blassen Schimmer,
was missbrauchte Frauen fühlten, welche Ängste sie bewältigen mussten, auch
wenn sie schon längst erwachsen waren. Aber sein Bauch war sich verflucht
sicher, dass sein Verstand absoluten Blödsinn erzählte. Und außerdem, was
sollte dann dieser merkwürdige Einbruch darstellen? Ein Ablenkungsmanöver? Von
was?
    Und immerhin bestand die Möglichkeit, dass es der Mörder von Inge war,
der Karins Wohnung auf den Kopf gestellt hatte. Der Untersetzte mit dem vollen
Haar. Eine Variante, die Chris eine Gänsehaut verursachte.
    Bei „O mio bambino caro“ war er mal wieder bei den Statistiken
angelangt, und die Fritten lagen plötzlich wie Blei im Magen, so hilflos und
wütend fühlte er sich. Wissenschaftliche Studien besagten, dass jedes dritte
Kind missbraucht wurde. Jedes dritte! Jedes dritte Kind in der westlichen Welt
erfuhr von einem Elternteil — oder auch von beiden — sexuelle Übergriffe,
Gewalt und Terror. Wehrlose lebenslange Opfer einer Gesellschaft, die „Respekt“
aus ihrem Wortschatz gestrichen hatte. Wo war die liebevolle Zuneigung, die
seine Eltern ihm entgegengebracht hatten? Die Achtung, die jedem Menschen, wie
jung oder alt er auch sein mochte, gebührte? Was ging in einem Menschen wie
Karins Vater vor, der das Kind, das er gezeugt hatte, vergewaltigte, prügelte und
schließlich zum Krüppel machte? Was war das für eine Mutter, die schwieg, Augen
und Ohren verschloss und ihr Wissen in Alkohol ertränkte?
    Und es waren so viele. So unendlich viele stumme Mütter, geile Väter,
Kinder, die innerlich oder äußerlich beschädigt zurückblieben.
    Chris konnte das Bedürfnis, irgendetwas an die Wand zu schmeißen, kaum
unterdrücken. Etwas kaputtmachen, durcheinander bringen, den Putz von der Wand
kratzen. Nur irgendetwas tun, das diesen Wahnsinn stoppte.
    Er holte seinen geliebten Whisky aus der Küche und brach damit die von
ihm selbst aufgestellte und eiserne Regel, am Abend vor einem Prozess keinen
Alkohol anzurühren.

Fünfzehn
     
    Die
Verhandlung lief glänzend. Die Tatsache, dass Stefan Eickboom sich aus
Liebeskummer betrunken hatte, spielte eine große Rolle. Seine Ex-Freundin
bezeugte, dass sie an dem bewussten Abend mit ihm Schluss gemacht hatte.
Eickboom selbst versicherte ernsthaft, ansonsten nie Alkohol zu trinken und die
Wirkung deshalb unterschätzt zu haben.
    Ob das so stimmte, wagte Chris zu bezweifeln. Und ob die Ex-Freundin
wirklich die Ex-Freundin war, oder für ein Handgeld vor Gericht aussagte,
wusste er ebenso wenig. Er hatte ausschließlich den Job übernommen, ein mildes
Urteil herauszuschinden. Und dafür hatte er die, vielleicht von Eickboom
Senior, gesponnenen Fäden dankbar aufgegriffen.
    Der Alte wollte die Tatsache, dass sein Söhnchen mit einer
Bewährungsstrafe und einem Jahr Führerscheinentzug davongekommen war, nochmals
mit einem Essen feiern, was Chris jedoch mit vielen Ausreden abbog. Nicht schon
wieder!
    „Sie könnten mir bei einer anderen Sache behilflich sein“, meinte
Eickboom auf dem Weg durch das Gerichtsgebäude. „Ich habe eine Eigentumswohnung
gekauft, die nun erhebliche versteckte Mängel aufweist. Ein Sachverständiger
ist schon beauftragt.“
    Er rieb sich müde übers Gesicht. Überhaupt sah er schlecht aus, fand
Chris. Er hatte tiefe Ränder unter den Augen und wirkte so nervös, wie er ihn
noch nie erlebt hatte. Wahrscheinlich war ihm der Prozess doch ziemlich auf den
Magen geschlagen.
    „Streitwert?“, fragte Chris lauernd und löste damit augenblicklich das
übliche Geplänkel aus.
    „Dreißigtausend. — Ich würde sagen: Viertausend für Sie und bei Erfolg
vierhundert für ein Projekt Ihrer Wahl.“
    „Fünf und achthundert für das Frauenhaus“, konterte Chris.
    „Viereinhalb und fünfhundert.“
    „Siebenhundert!“
    „Sechs!“
    „Sieben!“, beharrte Chris und wich einem hektischen Menschen aus, der
mit wehender Robe durch die Eingangshalle stürmte.
    „Gewonnen, Doktor Sprenger!“, rief Eickboom und sein Lachen dröhnte
durch das hohe Gewölbe. Er blieb stehen und strahlte Chris breit an. „Wissen
Sie, es gibt mit Sicherheit eine Menge fähige Anwälte

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