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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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dann, „hab sie nur so lieb gehabt.“
    „Was war sie für ein Mensch?“
    „Inge? — Die war viel zu gut, wenn du mich fragst.“
     
    Es war nach drei, als Chris endlich wieder aus dem Wohnmobil stieg.
Larissa war zu der Erkenntnis gekommen, dass sie mit so verheulten Augen
sowieso keine Geschäfte mehr machen konnte und erzählte stattdessen von Inge.
Auch sie beschrieb sie zunächst als ein großes Kind mit Schmollmund, das mit
der Masche Hilflosigkeit und Naivität bei den Männern gut ankam. Wobei Chris
gar nicht mehr sicher war, ob es sich dabei wirklich nur um eine Masche
handelte. Larissa sprach nämlich ziemlich ungehalten darüber, dass Inge sich
auf Gedeih und Verderb Brigitte Tönnessen ausgeliefert hatte. In völliger
Abhängigkeit von ihr sah sie nur ein Taschengeld von dem, was sie anschaffte.
Dabei hatte gerade Inge die exklusivsten Kunden, denen das Geld locker saß.
Ansonsten hielt Tönnessen sie aus, zeigte sich auch mehr oder weniger
spendabel, wenn es um größere Summen ging. Offenbar gefiel es Inge zunächst,
die Verantwortung für ihr Leben so völlig aus der Hand zu geben. Nach und nach
aber wurde ihr wohl bewusst, welchen Preis sie dafür bezahlte. Jedenfalls
beklagte sie sich oft bitter darüber, der Fußabtreter von Brigitte zu sein. Vor
drei oder vier Wochen spitzte sich die Situation dann zu. Es gab einen
Riesenkrach zwischen Inge und Tönnessen, und Inge weinte sich bei Larissa aus,
leider ohne konkret zu definieren, worum es sich bei dem Streit handelte. Auch
über ihre weiteren Pläne schwieg sie sich aus.
    Schließlich aber stellte Larissa einen Charakterzug von Inge dar, den
Chris, nach allem, was er bisher gehört hatte, kaum glauben konnte — nämlich
Hilfsbereitschaft.
    „Vor gut einem Jahr“, erzählte Larissa, „da hat mir irgend son´ mieser
Typ trotz Gummi ´n Tripper angehängt. Drei Monate haben die beim Gesundheitsamt
mich aus dem Verkehr gezogen. Das hieß für mich: Drei Monate keine Kohle. Und
was tut dieses Herzchen? Kratzt alles zusammen, was sie hat, bescheißt ihre
Tussi von vorn bis hinten und gibt den ganzen Zaster mir. Kannst du dir das
vorstellen?“
    Bei der Erinnerung daran kullerten wieder ein paar Tränen aus ihren
Augen.
    „Oder nimm mal den Heinz, das is´ ´n alter Schulkamerad von ihr. Der
is´ seit Jahren auf Platte. Obdachlos. Und jeden Monat geht die hin und steckt
ihm was zu. Von ihrem Taschengeld!“
    Heinz. Ein neuer Name, vielleicht noch ein Steinchen in diesem
verworrenen Mosaik. Und Chris konnte sich nicht erinnern, dass ein Heinz in dem
Notizbuch gestanden hätte. Mit was auch? Adresse und Telefonnummer würde es
kaum geben.
    „Weißt du, wo ich diesen Heinz finde?“
    „Nee, du, keinen blassen Schimmer, wo der sein Revier hat. Wart mal:
Stockmann heißt der — Heinz Stockmann. Quatsch, Scheiße. Stockberger, jetzt
weiß ich´s wieder. Heinz Stockberger!“
    Mit diesem Namen im Kopf war Chris schließlich aus dem Wohnmobil
gestiegen und fragte sich, ob dieser Stockberger wirklich noch ein Steinchen im
Mosaik sein konnte. Larissa jedenfalls war ein kleines gewesen. Er hatte zwar
immer noch nichts Konkretes in der Hand, aber immerhin wusste er jetzt einiges
über den Charakter von Inge.
    Allerdings konnte auch Larissa zu Inges Untertauchen nur die Achseln
zucken. Sie hatte sie das letzte Mal um den 20. April herum gesehen.
     
    Er nahm sich mehr als eine Stunde Zeit für die Badewanne, Haare
waschen und die gründlichste Rasur aller Zeiten. Dabei schaffte er es
ausnahmsweise sogar, sich nicht zu schneiden.
    Schließlich stand er vor dem Kleiderschrank und überlegte fieberhaft.
Anzug? Krawatte? Bloß nicht! Und reichte sein Aftershave? Oder sollte er noch
Eau de Toilette nachlegen?
    Endlich entschied er sich gegen zusätzliches Duftwasser und für Jeans
und das legere Seidenhemd, das seine Mutter ihm zu Weihnachten verehrt hatte.
    Jeder Zweifel, den der hässliche Gnom am Montag hinterlassen hatte,
war weggeblasen, geschmolzen wie eine Schneeflocke auf der Handfläche. Er war
mit der faszinierendsten Frau aller Zeiten verabredet. Punkt!
     
    Auf der Fahrt zu Karin wurde er immer nervöser. War seine Kleidung
angemessen? Hätte er vielleicht auch das Aftershave weglassen sollen?
Hoffentlich erzählte er vor lauter Aufregung nicht irgendwelchen hanebüchenen
Unsinn oder stotterte herum wie ein Zweijähriger. Über was sollte er überhaupt
mit ihr reden? Welche Themen könnten sie interessieren? Sein Gehirn war wieder
einmal wie

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