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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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einbog. Die schmale, mit Bäumen
gesäumte Straße wirkte beinahe idyllisch. Ursprünglich war sie als Rad- und
Fußweg durch eine Grünanlage gedacht gewesen. Seit etwa zwanzig Jahren aber
standen hier Tag für Tag Strichjungen, Nutten und Transvestiten jeden Alters,
jeder Hautfarbe. Was immer „Mann“ suchte, hier wurde er mit Sicherheit fündig.
Die meisten Freier fuhren im Schritttempo die Straße rauf und runter, bis sie
das Passende gefunden hatten. Eine kurze Verhandlung, und man fuhr zu zweit
davon. Es gab auch einige Wohnmobile, in denen man sich gleich vor Ort vergnügen
konnte.
    Diesmal hatte Chris Glück. Ein hübscher, blondgelockter Knabe, den man
besser nicht fragte, ob er schon volljährig war, deutete die Straße runter. Ein
Stück weiter fragte Chris noch einmal nach.
    „Der auf der linken Seite, aber im Moment ist rot.“
    Was hatte das schon wieder zu bedeuten? Aber als er gegenüber dem
Wohnmobil hielt, begriff er. Im Seitenfenster hing ein rotes Pappherz.
    Er hatte seine Zigarette noch nicht aufgeraucht, als sich die Tür
öffnete. Ein gutaussehender Mitvierziger stieg aus dem Wagen, rückte seine
Krawatte zurecht und schlenderte Richtung Militärring davon. Einer von knapp
acht Millionen Männern, die sich regelmäßig Sex im Vorübergehen kauften wie
andere Leute ein belegtes Brötchen.
    Zwei Minuten später wurde das Herz herumgedreht und zeigte nun eine
grüne Seite. Chris wartete noch mal zwei Minuten, bevor er ausstieg und betont
lässig die Straße überquerte. Energisch klopfte er an die Tür.
    Sekunden später öffnete eine schlanke Frau Ende zwanzig, die mit einer
Hand eine Art Kimono, bedruckt mit blauen Blumen, vorn zusammenhielt. Ihr Haar
war so schrill rot, dass er sich unwillkürlich fragte, ob Larissa dafür
vielleicht ihren Friseur verklagt hatte.
    Sie taxierte ihn einen Moment lang, bevor ihr Blick eiskalt wurde.
    „Bulle?“
    „Anwalt!“
    „Weiß nich´, was schlimmer ist!“
    „Es geht um Inge.“
    Das wirkte. Larissa zögerte noch eine Sekunde und bedeutete ihm dann
mit einer Kopfbewegung, reinzukommen.
    Drinnen gab es auf engstem Raum eine gemütliche Polsterecke mit
klappbarem Tisch und auf der anderen Seite ein nicht mal unbequem aussehendes
Bett. Alles war aufgeräumt und sauber. Ein feiner Geruch von Räucherstäbchen
lag in der Luft.
    „Wenn ´n Freier kommt, musste raus.“
    Chris kannte die Spielregeln und hatte sich vorher schon dreißig Euro
lose in die Jackentasche gesteckt. Jetzt nestelte er die vierfach gefalteten
Scheine heraus und hielt sie Larissa zwischen Zeige- und Mittelfinger geklemmt
hin.
    Sie zupfte die Scheine heraus und ließ sie unter dem Kimono
verschwinden. Dann drehte sie das Herz mit der roten Seite nach außen.
„Viertelstunde“, sagte sie dabei, „mit Gummi, ohne blasen.“ Grinsend drehte sie
sich zu ihm herum. „Aber schätze mal, du willst bloß quatschen.“
    „Korrekt.“
    Sie musterte ihn noch einmal eingehend, ehe sie fragte: „Du bist nicht
zufällig der, der den Loddel von Simone wegen Körperverletzung drangekriegt
hat?“ Langsam ließ sie sich an der Schmalseite des Tisches nieder.
    Chris nickte. „Der bin ich, ja!“ Er setzte sich ebenfalls und steckte
unbeholfen seine langen Beine zwischen Tisch und Polsterecke.
    „Wat machste, wenn der wieder rauskommt? — Ich mein, der poliert dir
doch die Fresse.“
    Obwohl ihre Befürchtung nicht von der Hand zu weisen war, lachte er
und fragte: „Was schlägst du vor? — Auswandern?“
    „Du gefällst mir“, grinste Larissa. „Also, Inge!“
    „Du weißt, was mit ihr passiert ist?“
    Völlig unvermittelt brach sie in Tränen aus, schien gar nicht mehr
aufhören zu können. Schluchzte und heulte, dass Chris schon fürchtete, die
viertel Stunde, die sie ihm zugestanden hatte, wäre bald abgelaufen. Erst als
er ihr ein Taschentuch über den Tisch reichte, schien sie wieder zur Besinnung
zu kommen. Putzte sich geräuschvoll die Nase und schniefte: „Oh, diese
Dreckschweine! Diese elenden Dreckschweine! Ich hab´s in der Zeitung gelesen.
Gott, diese Schweine!“
    „Wen meinst du damit?“, fragte er behutsam.
    „Alle hier, verstehst du? Alle!“, schrie sie, und wieder rollten
Tränen aus ihren Augen. „Jeder einzelne, der hierher kommt! Jeder gottverdammte
Freier! Oder glaubst du, es war kein Freier?“
    Chris nickte. „Doch. Wahrscheinlich hast du Recht. Und genau den suche
ich, Larissa!“
    Wieder ein geräuschvolles Naseputzen.
    „´Tschuldige“, murmelte sie

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