Fehlschuss
bis die Kehle so wund war, dass
kein Ton mehr herauskam.
Hellweins Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter. Er sagte
nichts.
Neunzehn
Sein Versuch
mit Karin zu reden, scheiterte kläglich an ihrem Anrufbeantworter, der Chris
freundlich aufforderte, eine Nachricht zu hinterlassen. Nein, er wollte keine
Nachricht hinterlassen, er wollte das Original.
Er überlegte noch, warum Anrufbeantworter immer so frustrierend waren,
als die Nixe, die gerade Feierabend machen wollte, aus dem Vorzimmer meldete:
„Frau Braun ist hier!“
„Okay“, gab er fast mechanisch zur Antwort, wenn auch überrascht. Es
geschah nicht oft, dass die Kommissarin sich herabließ, in sein Büro zu kommen.
Er sah auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmte. Susanne hatte
ihr hochoffizielles Gesicht aufgesetzt: angespannt-aufmerksam, nervös. Ein
wenig blass um die zu lang geratene Nase; ihr dunkles Haar bildete ein wüstes
Durcheinander.
Ohne Begrüßung steuerte sie die kleine Besucherecke im hinteren Teil
des Zimmers an. Sie ließ sich in den erstbesten Sessel fallen und streckte die
Beine weit von sich. Plötzlich wirkte sie niedergeschlagen, beinahe schwach.
Eine Gefühlsregung, die sie sich normalerweise noch nicht einmal vor Hellwein
erlaubte. Wie so oft meinte Chris, dass er die höchst zweifelhafte Ehre hatte,
als Einziger in ihr Innenleben schauen zu dürfen.
„Du siehst aus, als könntest du einen Cognac vertragen“, bemerkte er,
um irgendwie das Gespräch zu eröffnen.
„Bin im Dienst“, kam es knapp zurück und dann, nach einer kurzen Pause:
„Gib mir einen Doppelten.“
Susanne im Dienst und Alkohol. Das verhieß nichts Gutes. Chris holte
kommentarlos Cognac-Schwenker und eine Flasche aus der Anrichte, füllte die
Gläser und reichte eines an sie weiter.
Die Polizistin nahm einen gewaltigen Schluck — und schwieg. Starrte
auf den Hundertwasser an der gegenüberliegenden Wand, als ob dort die Lösung
ihres Problems geschrieben stände.
„Also gut“, versuchte es Chris, „du hast Hellwein in die Eier getreten
und jetzt ein Disziplinarverfahren am Hals!“
„Lass die Witze!“ Ihr Blick löste sich von dem Bild, irrte über den
Teppichboden, um schließlich an seinem Gesicht hängenzubleiben. In ihren Augen
lag etwas Gequältes.
„Was weißt du über die Tönnessen?“, fragte sie endlich.
Er ließ sich seine Überraschung nicht anmerken. „Na, immer noch nichts
Anderes, als ich dir vor ein paar Tagen gesagt habe. Jedenfalls nichts
Wesentliches.“
Susanne nickte gedankenverloren. „Ich weiß ein bisschen mehr“, sagte
sie dabei. „Sie ist tot!“
„Tot?“, echote er blödsinnig.
Wieder nickte sie. „Ja! Ein paar Waldarbeiter sind heute Morgen über
sie gefallen.“
Chris wurde es plötzlich kalt, eiskalt. „Moment mal, in den
Nachrichten …“
„Genau das! In der Nähe von Bad Münstereifel, Kreis Euskirchen. Um
genau zu sein, im Arloffer Wald.“
Die Haut auf seinem Rücken schrumpelte zusammen. Es dauerte ein paar
Sekunden, ehe er wieder Luft bekam, und noch länger, bis er in der Lage war,
von den Spaziergängen im Arloffer Wald zu berichten, die Karin erwähnt hatte.
„Und wieso hat die Berndorf uns nichts davon gesagt?“ Der
Gesichtsausdruck von Susanne wurde streng.
Er zuckte die Achseln. „Wahrscheinlich hat sie es nicht für wichtig
gehalten. Bis vor ein paar Sekunden hätte ich auch nie wieder daran gedacht.“
„Hm“, machte sie nur.
„Sanne! Du glaubst doch nicht alles Ernstes …?
„Ich hab schon Pferde kotzen sehen“, unterbrach sie ihn und setzte
hinzu: „Mitten vor der Apotheke.“
Sie stürzte den restlichen Cognac hinunter. „Herrgott nochmal, Chris!
Irgendjemand hat sie verdammt übel zugerichtet. Weißt du, ich bin jetzt zwanzig
Jahre dabei, und ich dachte, ich hätte mich daran gewöhnt, es gäbe nichts, was
ich noch nicht gesehen habe ...“
Wieder fixierte sie den Hundertwasser. Chris trat hinter sie und
begann sanft, ihre verkrampften Schultern zu massieren.
„Ich schwöre dir Chris, ich kriege dieses Dreckschwein! Mein Gott, da
ist einer hingegangen, das war ein Sadist, ein Verrückter … Ihr ganzer Körper
ist voller Schnittwunden, der Unterleib … Aber … aber dann dieser Schuss! Nicht
ins Herz oder einfach so draufgeballert. Ein einziger Schuss aus nächster Nähe
ins Genick. So, wie es aussieht, hat sie dabei gekniet … Das … das war eine
Hinrichtung, Chris!“
Still massierte er weiter, bis sich die Schultern ein
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