Fehlschuss
festnageln konnten, dass sie gestand. Aber
wie sollte das gehen, wenn sie nichts als eine Theorie hatten? Es gab keinen
einzigen Beweis, keine Indizien.
Es lief immer auf das Gleiche hinaus: Sie brauchten den Mann mit dem
vollen Haar. Ohne ihn kamen sie keinen Schritt weiter.
Susanne brachte einen ganzen Abend damit zu, ihre Wohnung zu putzen —
wie immer, wenn sie total frustriert war. Dabei durchdachte sie alles wieder
und wieder, und kam zu der Überzeugung, dass Chris höchstwahrscheinlich Recht
hatte. Als alles glänzte, zwei Körbe Wäsche gebügelt waren und es nichts mehr
zu tun gab, legte sie sich endgültig darauf fest.
Zufrieden war sie allerdings nicht. Weder mit ihren Überlegungen, noch
mit ihrer Wohnung. Mit ihren Überlegungen nicht, weil zwar alles Hand und Fuß
hatte, aber ohne den Mann mit vollem Haar gar nichts ging. Mit ihrer Wohnung
nicht, weil jetzt, wo alles sauber war, die vielen Unzulänglichkeiten doppelt
sichtbar wurden. Das antike Küchenbuffet, das dringend neu gewachst werden
müsste, der Schuhschrank in der Diele, der aus dem Leim ging, die Dusche, die
eine neue Versieglung brauchte, die Raufaser im Wohnzimmer, die überstrichen werden
musste. All das war ihr schon lange klar, und alle paar Wochen fiel es ihr
wieder ein. Für eine Stunde, einen Tag. Und dann versanken ihre guten Vorsätze
im Stress und dem Bewusstsein, nicht zu wissen, wofür sie sich solche Mühe
geben sollte. Es war niemand mehr da, für den es sich gelohnt hätte. Auf die
Idee, es für sich selbst zu tun, kam sie nicht.
Am nächsten Abend nahm Susanne sich dann das neue Puzzle vor, einfach
um ein wenig Abstand von dem Fall zu bekommen. Sie holte sich die kleinen
Dessertschalen aus der Küche und versuchte, die verschiedenen Blautöne von
Himmel und Wasser zu sortieren. Normalerweise konnte sie wunderbar abschalten,
wenn sie in Peters ehemaligem Arbeitszimmer saß und die ineinander passenden
Teile suchte.
An diesem Abend jedoch kam sie nicht recht vorwärts, verwechselte
dauernd die Schalen und legte die Randplättchen falsch an. Immer wieder wälzte
sie in Gedanken die dürftigen Ermittlungsergebnisse hin und her.
Alles in allem war bei den ganzen Befragungen nichts weiter herausgekommen,
als das Bild einer ausgekochten, mit allen Wassern gewaschenen Frau, deren
Masche des Naivchens bei den Männern zog. Ob die Art Hörigkeit gegenüber
Tönnessen echt oder auch nur Schauspielerei gewesen war, darüber gingen die
Meinungen auseinander. Das war aber auch so gut wie alles. Eine ehemalige
Kollegin von Inge wie auch einer ihrer Brüder erinnerten sich, von einer
Gertrud gehört zu haben, die mit ihr befreundet gewesen sein sollte. Gertrud —
wer? Auch Tönnessen hatte diesen Namen mal aufgeschnappt, wusste aber nichts
weiter. Wie sie überhaupt wenig zum Umfeld von Inge sagen konnte. Sie hatte
sich ihr bestes Pferd im Stall gleichzeitig als Betthäschen gehalten und sich
ansonsten einen Dreck für sie interessiert.
Susanne warf ein Puzzlestückchen achtlos auf den Tisch. Wenn sie
wenigstens wüssten, wo Inge sich diese drei Wochen aufgehalten hatte. Aber auch
da produzierten sie nur heiße Luft. Nicht mal die von der Sitte, die
herauszufinden versuchten, wer für Tönnessen arbeitete, kamen einen Schritt
weiter.
Nach einem letzten Blick auf das Puzzle verzog sie sich ins Bett.
Jetzt saß sie im Büro, stierte auf den Stadtplan und war mehr als nur
mürrisch. Sie hatte sich gerade durch den abschließenden Obduktionsbefund und
den Laborbericht gekämpft.
Beide waren zwar seitenlang, aber ohne jeden konkreten Anhaltspunkt.
Einzig und allein die Haare könnten was bringen. Aber bis die DNA-Spezialisten
vom LKA in Düsseldorf da zu einem Ergebnis kamen, würden noch Tage, wenn nicht
Wochen ins Land gehen. Na, war im Prinzip auch schon egal. Wenn es jemals so
etwas wie eine Spur gegeben hatte, war sie mittlerweile so kalt wie ihr
Drei-Sterne-Tiefkühlfach.
Bei Tiefkühlfach fiel ihr ein, dass sie dringend einkaufen musste. Zur
Bank, den Hosenanzug aus der Reinigung holen. Wenn auch ihre Wohnung glänzte
wie ein frisch eingeölter Kinderarsch, die tausend Kleinigkeiten drum herum
fielen wieder mal den Überstunden zum Opfer.
Hellwein hatte es da irgendwie einfacher. Als ewiger Junggeselle hatte
er sich sein Leben eingerichtet, bezahlte eine Putzfrau, die ihm auch die
Wäsche machte und einen Großteil der Einkäufe erledigte. Wieso hatte sie
eigentlich keine Putzfrau? Weil sie sich im Grunde der
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