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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Schäbigkeit ihrer
Wohnung schämte? Weil sie fürchtete, ihre Nachbarn könnten erfahren, dass die
mürrische Polizistin aus dem zweiten Stock in ihrer Freizeit Puzzle legte,
statt ihren Haushalt zu machen?
    Wütend warf Susanne den Obduktionsbefund zu den anderen Unterlagen und
ließ die Lesebrille auf den Tisch fallen. Nichts stimmte! Weder in ihrem Leben,
noch in diesem verdammten Fall.
    Die Sonne hatte sich um den turmartigen Rohbau neben dem Präsidium
herumgearbeitet und schien jetzt in das kleine Büro. Millionen kleiner
Staubpartikelchen flirrten in der Luft. Aber sie hatte keinen Blick für diesen
immerwährenden, faszinierenden Tanz. Sie war nur sauer, weil die Sonne sie
blendete. Mit einem Ruck ließ sie das Rollo herunter und erschlug damit fast
die Grünlilie.
    Normalerweise sah Susanne ihre Aufgabe immer klar und deutlich: Die
unendlich vielen Ansatzpunkte, die es am Anfang einer Ermittlung gab, sichten
und die unmöglichen von den möglichen trennen. Dann ging es „nur“ noch darum,
von den möglichen den einen richtigen übrig zu behalten. Doch beim Tod von Inge
Lautmann konnten sie nichts ausschließen, weil sie nichts in der Hand hatten.
Wann hatte es jemals einen Fall gegeben, der so völlig unklar war? In dem sie
so viel heiße Luft produziert hatten? Ein Mann mit vollem Haar, wahrscheinlich
Ausländer, und das war´s.
    Der einzige Lichtblick war die Akte Berndorf, die Klippstein aus dem
Archiv gegraben hatte. Aber das war ziemlich weit hergeholt und passte
überhaupt nicht zu dem Verdacht der Tönnessen gegenüber, sodass sie die Akte
zunächst an den Polizeipsychologen weitergeleitet hatte. Bevor sie hier etwas
unternahm, wollte sie seine Meinung hören.
    Prioritäten setzen! Oh ja! Die lagen erst mal darin, Hotels
abzuklappern, Pensionen, Absteigen. Das Foto von Inge Lautmann auf den Tresen
legen, sich die Eintragungen der Gästebücher ansehen, immer und immer wieder.
In Köln wurden jährlich mehr als drei Millionen Hotelübernachtungen verbucht,
verteilt auf über zweihundert Häuser. Hinzu kamen all die kleinen Herbergen und
Unterkünfte. Wenn man jetzt noch das Kölner Umland mit einbezog — Susanne wagte
nicht, in Zahlen zu denken.
    Auf jeden Fall kostete auch das wieder Zeit, erforderte Geduld. Und
Geduld war noch nie ihre Stärke gewesen. Sie starrte erneut den Stadtplan an.
Freitag war es passiert. Freitag! Heute war Mittwoch! Der Typ mit dem vollen
Haar konnte längst am anderen Ende der Welt sein, während sie hier von Hotel zu
Hotel zogen.
    Andererseits: Die Aufklärungsquote von Tötungsdelikten lag bei mehr
als fünfundneunzig Prozent, und das allein deshalb, weil in den meisten Fällen
eine enge Beziehung zwischen Täter und Opfer bestanden hatte. Warum also in die
Ferne schweifen? Warum annehmen, er wäre irgendwo untergetaucht? Zumal sie im
kleinen Finger spürte, dass er hier in der Nähe war.
    Die Tür flog krachend auf und Hellwein stürzte herein. Seine Chefin,
die so versunken gebrütet hatte, traf beinahe der Schlag.
    „Mann, Heinz!“, schrie sie und sprang auf, als hätte sie auf einem
Nagelbrett gesessen. „Bist du bekloppt?“
    Er war völlig außer Atem. Die Krawatte war gelockert und der oberste
Hemdknopf stand offen. Eigentlich so gar nicht seine Art.
    „´Tschuldigung!“, japste er, während er fast triumphierend mit einem
Zettel wedelte. „Aber gerade hat ein Kollege aus Euskirchen angerufen. Die
haben ´ne Kundin im Wald!“
    „Herrgott, Heinz! Was gehen mich deren Leichen an? Findest du nicht,
wir haben hier genug?“ Sie war sauer, stinksauer! Das fehlte jetzt wirklich
noch. Euskirchen!
    Hellwein grinste nur und gab ihr wortlos den Zettel. Noch während des
Lesens sank sie auf den Stuhl zurück. Sie spürte, wie sich alles Blut in ihren
Füßen sammelte und dann mit einem einzigen Herzschlag in ihren Kopf
katapultiert wurde.
    „Das gibt´s nicht!“, flüsterte sie, starrte Hellwein an und dann
wieder den Zettel. „Das gibt´s einfach nicht!“
    „Ich fürchte doch!“
    „Verdammter Mist! Okay, Heinz. Ruf von unterwegs aus an. Die sollen
mit dem Abtransport noch waren. Ich will sie sehen.“
    Sie sprang auf, schnappte ihre leichte Baumwolljacke, die sie vorhin
achtlos auf den Besucherstuhl geworfen hatte und rannte hinaus. Erst dabei ging
ihr auf, dass ihre ganze schöne Theorie jetzt im Eimer war.
    Hellwein hatte Mühe, sie einzuholen. Während er hinter ihr die Treppen
hinuntereilte, versuchte er, den Hemdknopf zu schließen und die Krawatte an

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