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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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Mist gebaut hat. Und nun
ist sie ziemlich wütend. Auf mich, auf die Polizei, auf die ganze Welt, glaube
ich.“
    „Dann solltest du zusehen, dass die Sache möglichst schnell aufgeklärt
wird“, stellte Luise ganz einfach fest.
    Und in diesem Moment löste sich seine Versteinerung. Es war alles
wieder da. Schmollmund, Kieselaugen, Hinrichtungen, brennendes Fett und
Pflastersteine. Verwirrt blinzelte er zu seiner Mutter hinüber, die sich mit
dem zweiten Stück Kuchen beschäftigte. Chris konnte nichts an Karins Gefühlen
ändern, damit musste sie selbst fertig werden. Aber er konnte dazu beitragen,
dass dieser Alptraum ein Ende hatte, dass Licht in diese verworrene Geschichte
kam. Er konnte die Puzzleteile zu einem Bild zusammensetzen.
    Er sprang auf, rannte um den Tisch und umarmte seine Mutter so
stürmisch, dass deren Kuchenteller in eine gefährliche Schieflage geriet.
    „Manchmal bist du unbezahlbar!“, rief er und drückte einen Kuss auf
die Wange zwischen sechsundfünfzig und fünfundsechzig.
    „Das ´manchmal` hab ich jetzt überhört. — Bist du nun endlich in der
Lage, etwas zu essen?“
    Er war. Und er war auch in der Lage, die Nixe anzurufen, die keinerlei
Besonderheiten zu melden hatte.
    Fast überhastet brach er dann von Luise auf und fuhr in die Stadt
zurück. Zunächst versuchte er es am Rudolfplatz. Die kleine Grünanlage dort war
regelmäßiger Treffpunkt von Berbern und Punkern. Die beiden ersten Gruppen
ignorierten seine Frage nach Heinz Stockberger völlig und taten so, als sei
Chris Luft. Von der dritten Gruppe bekam er ein „Hau ab“ zu hören. Angesichts
der drückenden Übermacht befolgte er die Aufforderung umgehend.
    Dann stieg er in die U-Bahnstation hinab. Die blauen und roten Kacheln
an den Wänden in der Zwischenebene waren großflächig mit schwarzem Graffiti
übersprüht, und der Vitrine, in der die Fahrpläne aushingen, fehlte das Glas.
Vor den beiden Fahrkartenschaltern drängelten sich Dutzende von Leuten. Chris
schob sich mit einem mehrfachen „`tschuldigung, darf ich mal?“ hindurch auf die
andere Seite. In einer Nische mit Schließfächern, die kein Mensch benutzte,
lagerte eine Gruppe Obdachloser. Es stank nach Urin und Schweiß.
    Seine Frage nach Heinz Stockberger wurde nur mit einem „Verpiss dich“
quittiert. Irgendwie hatte er wohl die falsche Strategie gewählt. Also
versuchte er es anders. Ging kreuz und quer durch die Innenstadt, ließ weder
Straßen aus, in denen sich ein teures Markengeschäft ans andere reihte, noch
die Fußgängerzonen. Er hielt Ausschau nach einzelnen Bettlern, die meistens auf
den Lüftungsschächten der großen Geschäfte hockten. In den alten Zigarrenkisten
oder Pappbechern vor ihnen lagen jeweils wenige Münzen.
    Sie waren freundlicher als ihre Kollegen am Rudolfplatz, und einiges
an Kleingeld wanderte aus der Geldbörse von Chris in die Kisten und Becher.
Aber niemand wollte sich an einen Heinz Stockberger erinnern.
    Als es dämmerte, gab er auf. Trotz der bequemen Schuhe brannten ihm
die Füße. Zu Hause schleuderte er die Slipper einfach von sich und rückte
wieder einmal den Läufer im Flur zurecht. Dann setzte er sich in einen Sessel,
legte die Beine auf den Wohnzimmertisch und massierte seine steinharten
Wadenmuskeln.
    Später holte er eine neue Flasche Whisky aus der Küche und steckte
eine CD von Mercedes Sosa in den Player. Er legte sich auf die Couch,
balancierte das Whiskyglas auf dem Bauch und dachte darüber nach, wie er Heinz
Stockberger finden könnte. Er würde seine Taktik rigoros ändern müssen. So viel
war jedenfalls klar.
    Er hatte alle Lichter gelöscht, bis auf den kleinen Wandspot, der die
beiden Akte von Bruno Bruni beleuchtete. Er sah auf die zarte Wölbung des
Rückgrats, verfolgte die Linie der Brüste, die nur mit einem feinen Stich
angedeutet war und klapperte im Geiste alle einschlägigen Treffpunkte in der Stadt
ab. Und wenn Stockberger in einem der Außenbezirke sein Revier hatte? Es gab
schätzungsweise zweitausend Obdachlose in Köln. Wie sollte er da einen Mann
finden, von dem er nicht mehr wusste als den Namen? Und würde ausgerechnet ein
Penner die Erleuchtung bringen? Er brauchte Namen. Kunden. Nach dem Tod von
Tönnessen erst recht. Er brauchte ein Motiv, den Ort, an dem Inge sich
versteckt gehalten hatte, und den Ort, an dem sie gefoltert worden war — und er
brauchte Karin.
    Jetzt, allein in seinem Wohnzimmer, nur mit Mercedes Sosa, die die
„Missa Criola“ mit wahrer Inbrunst sang, war

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