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Fehlschuss

Fehlschuss

Titel: Fehlschuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Geller
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antwortete er, und Chris fragte sich mal wieder, wieso eigentlich.
Susanne beklagte sich immer über das Gegenteil.
    „Kann ich dich allein sprechen?“, fragte er mit einem Blick auf die
anderen Berber.
    Stockberger zuckte die Achseln. „Kommt drauf an.“
    „Inge.“
    Das lustige Glimmen in den Augen erlosch. Mit einer einzigen
Handbewegung bedeutete er den anderen, die Bank frei zu machen.
    Es dauerte eine Weile, bis sich alle maulend und mit etlichen
Plastiktüten, die hinter der Bank gelagert waren, Richtung Unterführung
verzogen hatten.
    Dann saßen die beiden Männer schweigend auf der Bank. Die Ellbogen auf
die Knie gestützt, stierten sie auf den schmutzigen Teich vor ihnen.
    „Kanntest du sie gut?“, eröffnete Chris das Gespräch.
    „Hmh.“
    „Wie gut?“
    Achselzucken.
    Zum zweiten Mal an diesem Tag griff Chris zur Flasche. Welch ein Bild!
Doktor Christian Sprenger saß mit einem Penner im Park und schlubberte Schnaps.
Jetzt fehlte eigentlich nur noch ein zufällig vorbeischlendernder Klient oder
Kollege. Immerhin befand sich nur einen Steinwurf entfernt das
Oberlandesgericht. Anwälte und Richter, die hier vorbeikamen, der U-Bahn und
dem Wochenende zustrebend, waren sicher keine Seltenheit.
    Als Stockberger getrunken hatte, sagte er dumpf, ohne den Blick zu
heben: „Sie is´ tot, nich? Stand inner Zeitung.“ Er deutete mit dem Kopf auf
einen städtischen Abfalleimer neben der Bank, um zu dokumentieren, woher er die
Zeitungen bezog.
    „Sie hat dir immer Geld gegeben, oder?“
    Er nickte und setzte die Flasche wieder an, machte Gott sei Dank keine
Anstalten, sie Chris zurückzugeben. „Jeden Monat. Hab nich´ schlecht gelebt.
Kannste wohl glauben.“
    Chris glaubte ihm aufs Wort. Ein Berber mit sozusagen festem Einkommen
war sicher eine Art König auf der Platte.
    „Wann war sie das letzte Mal hier?“
    „Is ´ `ne Weile her. War aber pünktlich.“
    „Du meinst, sie hat dir für den April noch Geld gebracht?“, stellte
Chris klar.
    „Wenn jetz´ Mai is´, jawoll!“, antwortete er düster, und Chris fragte
sich, ob seine Trauer von Inges Tod bestimmt wurde, oder von der Gewissheit,
dass seine Geldquelle versiegt war.
    „Was weißt du von ihr?“, fragte er weiter.
    „Heh, sie war `ne Nutte! Na und?“, rief Stockberger aufgebracht. „Sie
hatte `n großes Herz. Großes Herz.“ Der Schnaps, der nicht sein erster heute
war, schien ihm in den Kopf zu steigen. „Biste von `ne Zeitung oder was?“
    Seine plötzliche Aggressivität steigerte sich von Sekunde zu Sekunde.
„Willste die große Story machen oder wie?“
    „Ich will wissen, wer sie umgebracht hat“, sagte Chris so ruhig wie
möglich.
    Die Antwort beschwichtigte ihn. So unvermittelt Stockbergers
Feindseligkeit aufgebrochen war, so plötzlich entwich sie wieder aus ihm, wie
Luft aus einem Ballon.
    „Großes Herz hatte sie“, murmelte er wieder. „Großes Herz. Kannst ja
mal mit der Gertrud reden. Die ham wie die Kletten zusammengehangen.“
    Chris zuckte unwillkürlich zusammen. Hatte Susanne nicht …?
    „Gertrud?“
    „Meine Schwester, Mann!“, erklärte Stockberger ungeduldig, als hätte
Chris die dämlichste Frage überhaupt gestellt.
    „Gertrud, aha. Stockberger?“
    Er grinste. „Nee — Schmitz. Is´ aber jeschieden.“
    „Weißt du, wo sie wohnt?“
    „Gertrud? Seit Jahren nich` gesehen. — Musst aber ´n bisschen Jeduld
mit ihr haben.“
     
    Chris nahm die U-Bahn zurück zum Bahnhof. Wie gestern schon brannten
ihm die Füße, und er war erschöpft. Den Versuch, auszurechnen, wie viele
Kilometer er gestern und heute über Asphalt getrabt war, ließ er lieber sein.
    Im hinteren Teil des Waggons klingelte ein Handy. Sekunden später
verkündete eine männliche Stimme lautstark, in circa dreißig Minuten zu Hause
zu sein.
    Chris versuchte das Geschwätz ebenso zu ignorieren wie den intensiven
Knoblauchgeruch seines Nebenmannes. Er sah durchs Fenster auf die
vorbeihuschenden Tunnelwände und dachte darüber nach, was de Stang ihm erzählt
hatte.
    Gertrud Schmitz! Das war nun wirklich das „Beste“, was ihm passieren
konnte. Schmitz! Der „kölsche Adel“. Irgendwo hatte er mal gelesen, dass etwa
dreitausend Schmitz im Telefonbuch verzeichnet waren. Und wie viele davon
Gertrud hießen, wollte er sich gar nicht vorstellen. Sicher, er hätte Susanne
bitten können, ihm zu helfen. Eine kleine Abfrage im Computer des Einwohnermeldeamtes
„Gertrud Schmitz, geborene Stockberger“ hätte genügt. Aber er hatte

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