Fehlschuss
die
Befürchtung, dass Susanne dann auch gleich mit ihr reden wollte. Und wenn sie
auch nur halbwegs so gestrickt war wie Pascale, Larissa oder auch Heinz
Stockberger, würde die Kommissarin kein Wort aus ihr rausbringen. Er hatte zwar
keinen blassen Schimmer, was mit „musst `n bisschen Jeduld mit ihr haben“
gemeint war, aber es hatte nicht so geklungen, als ob Gertrud Schmitz frei von
der Leber weg Auskünfte geben würde. Also: Keine polizeiliche Hilfe.
Außerdem verspürte er ein flaues Gefühl im Magen, das er nach einiger
Überlegung als Hunger diagnostizierte.
Er fuhr zum McDrive in Hürth, rechnete aber nicht damit, dass er
gleich an der Reihe war und wurde von der gelangweilten Mikrofonstimme, die ihn
aufforderte, seine Bestellung abzugeben, völlig überrumpelt. Big Mäc?
Hamburger? Kleine Fritten, große Fritten? Und wie hießen noch diese köstlichen
Geflügelbällchen?
„Ihre Bestellung, bitte!“ Diesmal klang Ungeduld mit.
„Big Mäc, kleine Fritten“, hörte er sich sagen.
Mit dem Wechselgeld im Schoß und der braunen Essenstüte auf dem
Beifahrersitz steuerte er schließlich einen Parkplatz in der so genannten
„Verzehrzone“ an. — Was für ein Wort!
„Toll, Sprenger“, murmelte er, als er die Styroporschachtel öffnete,
„du sitzt mit Pennern herum! Du ernährst dich von Fastfood! Du trinkst zu viel!
Vielleicht hättest du dich auf Familienrecht spezialisieren und mit Scheidungen
dein Geld verdienen sollen, wirklich!“
„Solche Leute sind kein Umgang für dich“, hallte Annes Stimme in ihm.
Wahrscheinlich hatte sie ausnahmsweise einmal Recht gehabt.
Beinahe angewidert biss er in das lauwarme Weißmehlbrötchen. Hunger
hieß noch lange nicht, Appetit zu haben — und den hatte er nun wirklich nicht.
Dafür war viel zu viel in seinem Kopf. Er schob den Gedanken an Anne beiseite
und versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Bisher lief alles darauf hinaus, dass der Krach zwischen Lautmann und
Tönnessen zum Verschwinden von Inge geführt hatte. Aber Chris hätte seinen Kopf
verwettet, dass dieser Streit nur eine Alibifunktion hatte, dass Inge sich
sowieso absetzen wollte und der Streit ein willkommener Anlass war. Ein paar
Tage später klaute sie Karin die Kamera. Dann dauerte es noch mal zwei Wochen,
bis jemand sie totschlug. Und irgendwo dazwischen lag das Motiv. Auch darauf
hätte er einen Eid abgelegt.
Lautmann — Tönnessen — Berndorf. In seinem Kopf entstand ein Dreieck,
in jedem der Winkel ein Name. Wo war der Berührungspunkt?
Bei zweien das Umfeld, gut, aber dann fiel Karin hintenüber. Also doch
ein zufälliger Einbruch? Bei dem keine Wertgegenstände geklaut werden? Etwas,
das so gar keinen Sinn zu haben schien?
Jetzt zog er eine Linie mit den drei Namen. Zwischen dem ersten und
dem letzten gab es also keinen unmittelbaren Kontakt, sondern nur eine
indirekte Verbindung durch den mittleren Namen. So weit, so gut. Wer stand
jedoch am Anfang, wer am Ende? Lautmann in der Mitte? Links die geklaute
Kamera, rechts das Verhältnis mit Tönnessen?
Chris probierte mehrere Möglichkeiten durch, während er versuchte,
keine Majo auf die Hose zu kleckern.
Und dann war es blitzartig da. Dieses ungute Gefühl, einen Fehler
gemacht zu haben. Dass irgendwas an ihm vorbeigelaufen war. Vielleicht schon
ein Dutzend Mal. Eine Kleinigkeit nur, aber es war da. Das wusste er plötzlich
so sicher wie sonst nichts. Irgendjemand hatte irgendwas gesagt, und das war
wichtig!
„Was, Sprenger? Was?“, murmelte er.
Trotz der stickigen Luft im Wagen hatte er unversehens eine Gänsehaut.
Jetzt müsste er die Ermittlungsakten haben. Die offiziellen Unterlagen und die
Protokolle der Gespräche, die er selbst geführt hatte. Es wäre die einzige
Möglichkeit. Sich in jede Aussage vergraben, jeden Sachverhalt prüfen, immer
und immer wieder, bis er darauf kam. Aber natürlich hatte er keine
Aufzeichnungen über seine Besuche bei Larissa oder Pascale gemacht. Und Susanne
würde die Unterlagen niemals rausrücken. — Durfte es gar nicht. Chris war ja in
keiner Weise offiziell mit dem Fall betraut.
Also musste er es anders versuchen. Noch einmal: Lautmann, Tönnessen,
Berndorf. Weiter kam er nicht mehr. Karin … Den ganzen Tag verdrängt, stach es
jetzt wie tausend Nadeln.
„Scheiße!“ Er warf die Styroporpackung seines Big Mäc aus dem
Seitenfenster und traf die Kante des Mülleimers. Die Box prallte ab und landete
im Gras.
„Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Er wollte
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