Fehltritt Im Siebengebirge
das gegenüberliegende Ufer. Aber wir packen ihn nicht ins Boot – wir ziehen ihn durchs Wasser, das vereinfacht die Sache. Er liegt ja sowieso schon halb drin, der arme Kerl. Drüben bringen wir ihn leichter auf die Trage. Ich will ihn mir dann genauer ansehen.«
Mathias und Grand-Pere waren dem Beamten in einigem Abstand gefolgt und die Böschung hinuntergeklettert. Sie standen etwas erhöht in den Büschen am Hohlweg, der zum Ufer führte, und beobachteten die Bergungsaktion.
»Das ist kein schöner Anblick. Komm, wir gehen zurück«, forderte Grand-Pere.
Mathias folgte nur einige Schritte. »Nicht so weit. Sonst können wir ja nicht sehen, was die machen. Wir sind doch wichtige Zeugen.«
Der makabre Transport erreichte die wenige Meter breite Landzunge des Ufers, wo die Feuerwehrmänner einen festen Standort für sich und die Trage fanden. Sie hatten gelbe Stulpenhandschuhe übergestreift und mühten sich, nicht den Halt zu verlieren, während sie den Leichnam aus dem Wasser zogen und auf die Trage legten. Der Transport über das Geröll der Uferböschung und durch den matschigen Hohlweg mit seinem Buschwerk war Schwerarbeit.
Es gehörte nicht zur Zuständigkeit des Notarztes, eine Leichenschau vorzunehmen. Doch Dr. Kehlmann sah seine Aufgabe nicht so eng. Er steckte jetzt schon so weit im Wasser und in der Sache, daß er Klarheit haben wollte, ob die Verletzungen des Toten nur durch den Absturz verursacht worden waren oder noch von anderer Art sein konnten. Oben an der Hangkante war nur wenig Erdreich abgebröckelt. Ein Abbruch, der einen Menschen mitreißen konnte, hatte offensichtlich nicht stattgefunden. Daher hatte Dr. Kehlmann instinktiv das Gefühl, hinter die Erklärung »Unfall« zumindest ein Fragezeichen setzen zu müssen.
Ein Feuerwehrmann wies auf den Trainingsanzug. »Das ist bestimmt einer vom Bundesgrenzschutz. Die treiben hier ihren Dienstsport. Die Mannschaftswagen aus Hangelar stehen oft auf dem Parkplatz bei der Forschungsstelle für Jagdkunde.«
»Nein, kann wohl nicht sein«, widersprach ein anderer. »Da fehlt das Hoheitszeichen an der Bluse.«
»Sperr doch deine Augen richtig auf, Sherlock Holmes. Der Pleitegeier ist abgetrennt worden. Tarnung vor dem Sprung ins Ungewisse«, sagte der Einsatzleiter.
Dr. Kehlmann hatte sich neben die abgestellte Trage gekniet und die Einmal-Handschuhe übergestreift. Er untersuchte den starren Körper, soweit es unter den gegebenen Umständen möglich war.
Mathias und Grand-Pere standen abseits. Sie sahen, wie sich der Arzt aufrichtete und den Hauptmeister herbeiwinkte. Sie hörten, wie er zu ihm sagte: »Das gefällt mir ganz und gar nicht. Sehen Sie hier, diesen Bluterguß.«
Der Hauptmeister hatte Mühe, seinen Blick nicht abzuwenden und erschauerte vor der Professionalität der ärztlichen Feststellung. Der Leichnam mit seinen Verletzungen bot auch für einen Polizisten, der schon manchen Unfall gesehen und manches Opfer geborgen hatte, keinen Anblick, der lange zu ertragen war.
»Das gefällt mir absolut nicht«, wiederholte Dr. Kehlmann. »Ein Aufprall auf die Basaltsäulen in der Wand hätte offene Wunden hervorgerufen, aber kaum ein Hämatom solcher Art verursacht. Da bin ich aber sehr gespannt, was meine schlauen Kollegen von der Rechtsmedizin dazu sagen werden.«
Der Hauptmeister wußte mit der ärztlichen Deutung nicht viel anzufangen und fragte: »Meinen Sie, daß da einer nachgeholfen haben könnte? Soll ich das 1. K. informieren?«
»Ich weiß nicht so recht – aber besser ist besser. Tun Sie das. Doch bitte mit allem Vorbehalt. Ich will mich hier nicht als Oberverdachtschöpfer präsentieren. Da soll mal jemand von der Kripo herkommen und selbst einen Eindruck gewinnen. Der kann dann an Ort und Stelle entscheiden, wie es weitergehen soll.«
»Was meint der Doktor?« fragte Mathias.
Grand-Pere zögerte mit der Antwort. Er hatte nicht alles verstehen können und antwortete vorsichtig: »Der nimmt wohl an, daß das kein richtiger Unfall war.«
»Der Polizist glaubt, daß da einer nachgeholfen hat«, erklärte Mathias nun seinerseits. »Wenn der… wenn die… die Leiche… wenn den da einer runtergestoßen hätte, wäre das doch Mord.«
»Ja, das könnte wohl gemeint sein. Wenn auch nur der geringste Verdacht besteht, muß das die Kriminalpolizei aufklären. Dafür ist dann die Mordkommission zuständig.«
»Und uns brauchen die bestimmt als Zeugen.«
»Nun gewiß, unsere Aussagen braucht die Polizei auch. Ganz richtige
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