Fehltritt Im Siebengebirge
machen. Die Siemanns gehörten dazu, wenn Erlenborn-Spirituosen das 100jährige Betriebsjubiläum feiern würde.
Marianne Richter zog noch einmal die Bettdecke bis unters Kinn und überdachte die Situation. Sie war jetzt lange genug bei Erlenborn, um die Zusammenhänge zu kennen. Hartmut hatte ihr offen gesagt, er brauche Barbaras Erbteil, um den Betrieb zum Branchenführer zu machen. Bei dem Geschäft mit dem Schnaps sei es kaum möglich, neue Kunden zu gewinnen. In erster Linie gehe es darum, der Konkurrenz Marktanteile abzujagen.
Die 100-Jahrfeier, so wollte es Hartmut, sollte der Branche zeigen: Erlenborn ist angetreten, die Konkurrenz das Fürchten zu lehren. Hartmut gönnte sich keine freie Stunde, nur gelegentlich einige intime Minuten mit Marianne im Ruheraum neben dem Chefbüro. Bei den Vorbereitungen für das Betriebsjubiläum war der schnelle Sex für ihn nur wenig mehr als eine funktionale Notwendigkeit.
Marianne starrte vor sich hin und fror. Ihre Aussichten waren alles andere als rosig; an »Frau Unternehmer« war nicht mehr zu denken, und Konkubine sein im Schatten der anderen – so wollte sie ihre besten Jahre nicht vergeuden.
Und nun auch noch der Krach mit Guido. Mit Sehnsucht dachte Marianne an die Rhythmen der Cabezas im »Old Sound« und an ihr Wiedererwachen in Klattes Armen. Sie zitterte unter der dünnen Decke. Die Angst vor Guidos Unbeherrschtheit ließ sie keine kuschelige Wärme in den Kissen finden. In wenigen Monaten drei Männer gleichzeitig an sich zu ziehen, ohne es eigentlich zu wollen, ohne zu wissen, wohin sie gehörte, das war wie ein Spiel mit drei Kugeln. Es begann ihr unheimlich zu werden.
Sie sprang aus dem Bett, stellte sich unter die Dusche und ließ das Wasser minutenlang auf Brust und Rücken herunterprasseln, stark und heiß. Eine Orgie von Schaum spülte die Nacht hinweg.
Dieser Sonnabend und Sonntag standen ganz im Zeichen der Arbeit für Erlenborn. Die Erstellung der Gästeliste, die Arrangements für die Sitzordnung und die Veranstaltungsfolge bedeuteten Arbeit und Konzentration. Ihr war es recht, eingespannt zu sein, an nichts anderes denken zu müssen und am Abend todmüde ins Bett zu sinken.
Doch zunächst blieb der Vormittag für Einkäufe in Bonn. Hartmut hatte Verständnis dafür, daß sie ein, zwei Stunden brauchte, um das richtige Kleid zu finden. So etwas brauchte seine Zeit. Nach einer schnellen Crepe-fromage am Marktplatz nahm sie am Bahnhof die Straßenbahnlinie 2 zur St. Nikolauskirche. Von dort aus waren es nur wenige Minuten, bis der markante Schriftzug ERLENBORN an der Fassade des Verwaltungsgebäudes auftauchte. Ein leichter Südwestwind trug den Duft von Succus Liquiritiae, Süßholzsaft aus Haribos Lakritzenküche, zu ihr herüber. »… macht Kinder froh und Erwachsene ebenso!« Doch heute fiel es ihr schwer, den Werbespruch nachzuempfinden.
»Du kommst spät. Wir haben viel Arbeit vor uns«, empfing Hartmut sie. »Hast du wenigstens das Richtige gefunden?« Er duzte Marianne nur, wenn er mit ihr allein war. »Übrigens, die Rechnung darfst du mir zur Erstattung vorlegen – Werbungskosten für Erlenborn.«
Marianne lächelte, »Heißt das, du erwartest eine Art Trikot-Reklame von mir, wie bei den Spielern der Bundesliga?«
»Wir werden es anders machen als die Burschen, die zwanzig Millionen für Reklamezwecke ausgeben können. Unsere paar Millionen müssen dickere Früchte tragen. Da müssen Multiplikatoren her. Wir werden beim Hundertjährigen die Spitzen von Staat und Gesellschaft bei uns haben, dazu Fernsehen, Presse und Funk. Bedenke, wir waren einmal Samsons Feindestille, immer etwas Besonderes in Bonn. Die Arier haben an uns viel wieder gutzumachen. Darum wird auch keiner unsere Einladung ausschlagen.«
»Das ist reichlich zynisch gedacht. Du hast doch damit nichts mehr zu tun«, warf Marianne ein.
»Stimmt, direkt nicht; doch Klappern gehört zum Handwerk, und wir brauchen Aufhänger für die Publicity. Das große Geschäft läßt sich nicht mehr nur mit Zeitungsanzeigen oder der Bandenwerbung in den Sportarenen machen. Wir müssen in den redaktionellen Teil der Presse hinein.« Hartmut redete sich in Begeisterung. »Die Redaktionen werden sich mit uns nur befassen, wenn wir die politische Ebene vor unserer Tür ausschlachten – provokativ und gediegen. Ich denke da an eine Stiftung »ERLENBORN-Biotopenschutz« mit Schirmherrschaft beim Bundesminister, an ERLENBORN-Dampfer auf dem Rhein, Wissenschaftler nehmen Wasserproben,
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