Fehltritt Im Siebengebirge
beeindrucken. Er hantierte mit der Flasche und füllte die beiden Gläser randvoll mit Korn.
»So, das dient der kriminalistischen Exploration des Umfeldes. Prost, Lupus!«
»Auf die keusche Königin und deine Flattertierchen – Prost, Chef! Erlenborn ist immerhin zu dieser gesegneten Stunde schon ein achtunddreißigprozentiger Erfolg. Ein richtiger Männerschluck.«
Während dieser hochprozentigen Betrachtung klingelte das Telefon. Der Pförtner meldete eine Dame, die von Herrn Freiberg zum Verhör bestellt worden sei.
»Verhör gewiß nicht«, erklärte der Kommissar. »Aber wir warten auf sie.«
Lupus trat auf den Gang hinaus, um der Besucherin entgegenzugehen. Der Aufzug surrte laut im fast menschenleeren Präsidium. Gleich nach dem Abbremsgeräusch ein metallenes Klicken. Die Tür entriegelte automatisch und schob sich auf. Lupus blickte in die großen Augen einer schönen Frau. Er war sich nicht sicher, ob sie geweint hatte.
»Ich bin hierher bestellt worden«, sagte sie.
»Frau Richter?« fragte Lupus und machte sich kurz bekannt. »Mein Name ist Müller. Kommen Sie, ich begleite Sie zu Hauptkommissar Freiberg. Der leitet die Ermittlungen.«
Schön ist sie ja, dachte auch Freiberg, als er Marianne Richter begrüßte. Ob sie wohl einen Grund hatte, traurig zu sein?
Lockeres, kurz geschnittenes dunkles Haar umrahmte ein offenes Gesicht, in welchem die graubraunen Augen und ein leicht schmerzlicher Zug um den vollen Mund Überraschung oder Bestürzung erkennen ließen. Die talergroßen Ohrclips unterstrichen die modische Knopfreihe an der Weste, welche sie offen über einer Streifenbluse mit geknoteter Krawatte trug. Ein breiter glatter Ledergürtel umschlang eine Figur, die das Selbstbewußtsein einer recht lebenserfahrenen Frau auszudrücken schien.
Freiberg stellte die Gläser zur Seite.
»Wir hatten Sie so schnell nicht erwartet«, erklärte er etwas verlegen. »Was darf ich Ihnen anbieten? Kaffee, Tee. Das wird allerdings länger dauern – oder vielleicht Fruchtsaft mit Erlenborn? Schlichtes Mineralwasser haben wir auch.«
»Ja, ein Glas Wasser bitte«, meinte sie leise. »Warum haben Sie mich herbestellt? Ich war doch ziemlich überrascht von Ihrem Anruf. Mein Chef hat mir einen Wagen der Firma überlassen, damit ich schnell zurück bin. Wir haben viel zu tun.«
»Richtig, hundertjähriges Jubiläum. Das war doch Herr Erlenborn am Telefon?«
Marianne Richter nickte. »Der lebt nur für die Firma.«
Freiberg hatte das Gefühl, mit der Frage nach ihrer Beziehung zu dem Toten noch warten zu müssen und fragte: »Sind Sie schon lange dort?«
»Seit knapp einem halben Jahr. Firma Erlenborn suchte eine Fachkraft mit Kenntnissen im Zoll- und Verbrauchssteuerbereich. Ich hatte einige Jahre auf dem Hauptzollamt Aachen mit Steuerfragen und Alkoholeinfuhren zu tun.«
»Als Beamtin?«
»Nein, ich war Angestellte. Mir ist die Arbeit so nach und nach zugewachsen. Den meisten Kollegen liegt das nicht. Ich habe mich hineingekniet. Das Angebot von Erlenborn war dann so günstig, daß ich es nicht ausschlagen wollte. Und Bonn ist ja auch eine Stadt, in der es sich leben läßt.« Erschreckt sah sie auf und ergänzte fast unhörbar: »Und sterben auch. Daran hat Werner Klatte niemals gedacht.«
»Sie kannten ihn näher?«
Ihre Antwort war eher eine nach innen gerichtete Frage. »Ja – kannte ich ihn? Eigentlich nicht so recht. Wir waren Arbeitskollegen, nur für kurze Zeit. Herr Klatte hatte Probleme in Helmstedt gehabt und war nach Aachen versetzt worden.«
»Probleme?« fragte Lupus. »Hat er irgend etwas angestellt?«
»Nein, im Gegenteil. Damit war sogar eine Beförderung verbunden, weil er einen Embargoschmuggel aufgedeckt hatte. Man hielt ihn in Helmstedt für bedroht. Er hat darüber nur gelacht, war aber ganz froh, dem Trott an der DDR-Grenze entrinnen zu können. Aachen und die kurzen Wege nach Holland und Belgien – da hat man so seine Abwechslung.«
»Familie – wie sieht es damit aus?« fragte Freiberg.
»Er ist… er war nicht verheiratet. Der Vater ist Witwer und lebt mit einer Frau zusammen, irgendwo in der Nähe von Bremen. Herr Klatte hat das mal andeutungsweise erwähnt.«
»Und Sie sind auch unverheiratet«, stellte Lupus fest. »Da lernt man sich in einer Dienststelle gewiß bald kennen.«
»Na ja, wie das so ist. Die Verheirateten haben es immer eilig, nach Hause zu kommen, wenn die Feierabend-Stunde schlägt, und an uns bleibt die Mehrarbeit hängen. So ergab sich die
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