Fehltritt Im Siebengebirge
bändigen.«
Sie bat den Besucher herein.
Guido Siemann füllte den Rahmen der Tür. Schon durch seine Statur wirkte er selbstbewußt. Er war sorgfältig rasiert, seine kurzgeschnittenen strohblonden Haare lagen rechts gescheitelt fest am Kopf. Er trug ein feinkariertes offenes Hemd und einen modischen Sommer-Blouson, eine helle Gabardinehose und schlichte Halbschuhe. Nur die Unruhe seiner von der Handwurzel her kräftig behaarten Hände verriet eine gewisse Nervosität.
Der Hauptkommissar nannte seinen Namen und bat Platz zu nehmen. Fräulein Kuhnert hatte sich an den kleinen Beistelltisch gesetzt und den Stenoblock bereitgelegt. Sie würde das Zimmer nur verlassen, wenn ihr Chef das unauffällige Handzeichen gab.
»Wir ermitteln in einer Unfallsache, Herr Siemann. Sie werden von Ihrer Schwester wissen, worum es geht«, eröffnete Freiberg das Gespräch.
»Ja, so ungefähr. Da ist einer vom Zoll in den Blauen See gestürzt. Aber was soll ich damit zu tun haben?«
»Nichts – wie ich hoffe«, sagte der Kommissar. »Wir befragen alle, die Werner Klatte gekannt haben.«
»Mit dem hatte ich noch nichts zu tun. Der ist erst seit ein paar Wochen Chef des Zollamts Beuel. Die Abfertigung der TIR-Transporte erledigen ohnehin die unteren Dienstgrade. Die Amtschefs haben wohl andere Interessen.«
»Tiertransporte?« wunderte sich Freiberg. »Etwa Lebendvieh?«
Guido Siemann zeigte ein überlegenes Lächeln. Da schien er ja an einen ziemlich unbedarften Polizeimenschen geraten zu sein. Gönnerhaft klärte er sein Gegenüber auf: »Richtig müßte es T-Punkt, I-Punkt, R-Punkt, buchstabiert werden, oder zu gut deutsch ›Transport Internationale de Marchandise par la Route‹. Das sind Fahrten unter Zollverschluß ohne Kontrollen an der Grenze. Abgefertigt wird bei den Binnenzollämtern.«
Freiberg dankte für die Auskunft. Dabei wußte er, daß dieses Mißverständnis vernehmungstaktisch für ihn ein dicker Pluspunkt war. Guido würde, um seine Überlegenheit zu demonstrieren, nicht mehr übermäßig zurückhaltend sein.
»Sie haben gewiß große internationale Speditionserfahrung?«
»Und ob«, erwiderte Guido Siemann selbstbewußt. »Ich selbst fahre Benelux und Frankreich. Auch die Korrespondenz läuft über meinen Schreibtisch. Vom Sohn des Chefs wird erwartet, daß er sich die Nachfolge erdient. Sprachen habe ich erst nach dem Abitur richtig gelernt. Englisch, Französisch, Niederländisch – das braucht man in unserer Branche.«
»Da Sie nun kein Viehhändler sind – es gehört zwar nicht zum Thema –, aber was läuft so alles in Ihrem Geschäft? Ich lerne gern vom Fachmann dazu.«
»Fracht jede Menge. Keine Umzüge, dafür Stückgut, Container, Lebensmittelkonserven, ja – und dann die Tankfahrzeuge.«
»Heizöl, Diesel-Kraftstoff, oder was sonst?«
»Doch nicht das stinkige Zeug! Wir sind spezialisiert auf Chemikalien und Brennweine.«
»Wenn ich nun wieder dumm frage, dürfen Sie getrost laut lachen«, meinte Freiberg. »Brennweine? Für wen und was ist das genau? Für die Schnapsdestillation, nicht wahr?«
»Sehr richtig. Aber Schnaps, dieses Allerweltswort für Brandy aus Kartoffeln und Getreide hören die Weinbrenner nicht so gern. Unser Hauptauftraggeber ist übrigens Erlenborn.«
»Sie sind ja auch miteinander verwandt«, warf Freiberg ein. Guido Siemann sah erstaunt auf. »Ach, das wissen Sie? Nur angeheiratet. Hartmut Erlenborn hatte die Schwester meiner Mutter geheiratet. Aber Sonja ist gestorben.«
»Das dürfte etwa ein Dreivierteljahr her sein«, ergänzte Freiberg.
Guidos Blick zeigte Unruhe. »Das wissen Sie auch?«
»Nur zufällig, ganz zufällig. Aber noch mal zu den Brennweinen. Erlenborn ist doch mit Kräuterlikören und Doppelkorn auf dem Markt. Keine Illustrierte, kein Bundesligaspiel und kein Werbefernsehen ohne Erlenborn-Doppelkorn.«
»Es handelt sich um zwei verschiedene Produktionsbereiche«, erläuterte Guido. »Der Weinbrand läuft unter dem Traditionsnamen Samson. Das war die Feindestille unseres Großvaters. Alles andere läuft unter Erlenborn. Zu Urgroßvaters Zeiten wurde noch ›Samson-Cognac‹ gebrannt. Der soll dieselbe Qualität gehabt haben wie der Weinbrand von heute.«
»Den Namen ›Cognac‹ zu führen, haben uns die Franzosen im Versailler Friedensvertrag verboten«, wußte Freiberg noch aus einem sonst vergessenen Seminar. »Da wir besonderes Talent haben, unsere Kriege zu verlieren, soll es dabei wohl bleiben. – Aber der Weinbrand aus deutschen
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