Fehltritt Im Siebengebirge
verschloß. Auch dort wäre er Mord und Totschlag, Rachsucht und Habgier begegnet, den Kräften, die der Menschheit wie der Teufel im Nacken sitzen. Doch die historischen Kausalketten hatten bereits ihre Ursachen offenbart, und die Geschichte hatte ihr Urteil gesprochen. Es harrte der Exegese und Interpretation. Lehren aus der Geschichte zu ziehen, erschien Freiberg allerdings ein vergebliches Unterfangen. Keine Generation wollte sich ihr Recht auf eigene Fehler und Dummheit nehmen lassen. Vielleicht war das die Lehre der Geschichte.
Das Spiel der Queen mit den Männern königlichen Geblüts, vor allem mit den Söhnen der Katharina von Medici, hatte ihm die Zeit verrinnen lassen. Ladicte dame, Elizabeth 1. vermochte mit ihren 31 Jahren noch heiratspolitisch zu erröten und die Contenance zu verlieren, als Frankreichs Botschafter Paul de Foix ihr 1565 das liebende Interesse Karls IX. bekundete. Noch keine 15 Jahre war das Karlchen alt, aber immerhin König von Frankreich, und wurde schon von Mutter Katharina und der jungfräulichen Königin auf dem europäischen Schachbrett hin und her geschoben. – Sabine hatte ihre Quellen auch mit dem Blick für das Anekdotische ausgewertet. Darum war es unmöglich, von ihr nicht gefesselt zu sein.
Freiberg wurde unruhig. In seinen Waden begann es zu kribbeln. Förderlich war die Haltung am Schreibtisch für seinen Blutkreislauf nicht. Außerdem begann der Magen zu rebellieren. Er stand auf. Ein paar Kniebeugen, einige Schritte zum Fenster- und die Lichterkette der Südbrücke zog das Auge in ihren Bann. Nur schwach hoben sich die Höhen des Siebengebirges vom Horizont ab. Nacht am Rhein. – Im kleinen Kühlschrank, durch aufgeklebte Folie dem Ton der Büromöbel angeglichen, fand sich noch ein Fruchtjoghurt und ein Stück Gouda-Käse in durchfettetem Papier. Er entschied sich für den Käse und nahm aus dem Aktenschrank die letzten zwei Scheiben Knäckebrot. Sie hatten alles Krosse und Frische verloren. Lustlos kaute Freiberg auf der mitternächtlichen Atzung herum. Die Mineralwasserflaschen waren leer. So nahm er ein Glas und holte Wasser aus der Leitung des Handwaschbeckens nebenan – lau und fade. Er würde Fräulein Kuhnert bitten, für einige Vorräte zu sorgen.
Eigentlich hatte er doch ein Aktenstudium vorgesehen und nicht den Ausflug in ein fernes Jahrhundert. Schließlich war ein Mord aufzuklären. Er setzte sich wieder an den Schreibtisch und sichtete noch einmal Klattes spärliche Notizen. Freibergs Blick ruhte lange auf dem Zettel mit dem einen Wort: »Umsatz?« – Dieses verdammte Fragezeichen. Stand vielleicht ein bestimmter Sachverhalt in einer Relation zum Umsatz? Waren es womöglich Guidos Nebeneinkünfte – oder war das Wort ein Zufallsprodukt und hatte mit dem Fall gar nichts zu tun? Ein weißes Blatt, ein einziges Wort mit dem ganz großen Fragezeichen im Mordfall Klatte. Lag dort die Lösung?
Freiberg legte den Zettel in die Schreibtischschublade zurück. Um auf andere Gedanken zu kommen, zog er die vergilbte und verstaubte Akte zu sich heran, deren Blätter noch mit Fäden geheftet waten. Mit Freuden blätterte er in solch alten Archivalien.
Die Baupläne der ehemaligen Samson-Feindestille waren mehrfach kunstvoll geknickt, so daß sie sich dem Aktenbündel einpaßten, aber jederzeit schnell herausgefaltet werden konnten. Die ältesten Daten auf den Schriftstücken lagen über fünfzig Jahre zurück, die jüngsten auch schön zwölf. »Quod non est in actis, non est in mundo«, dachte Freiberg. »Nur durch staubige Akten besteht unsere Welt.«
Er hatte die schon etwas brüchigen Baupläne entfaltet und auf dem Schreibtisch ausgebreitet. Die Destille stand auf uralten Mauern. In mächtigen Kellergewölben konnte in großen Eichenfässern das Weinbranddestillat dem Konsum entgegenreifen. Das Faßlager war unter Zollverschluß. Damit ging der Schwund zu Lasten des Staats.
Nach Süden schloß sich der Arbeitskeller mit dem Flaschenlager an. Das Branntwein-Lager für den noch nicht versteuerten Alkohol im nördlichen Teil des Kellers war auf der Zeichnung farblich hervorgehoben. Hier standen drei Tanks mit je 25000 Liter Fassungsvermögen. Diesen Raum hatte man von dem Keller für die Lagerung des Brennweins durch eine feste Mauer ohne Tür abgeschottet. Die weiteren zehn Tanks – als Zisternen bezeichnet – waren nur mit leichten Strichen angedeutet, da sich die Zollbehörden damit nicht zu befassen hatten. In den Zisternen konnte ein kleines
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